Naturgeschichte(n)
der Gewässerverschmutzung. Ihre Larven leben nämlich in den obersten Schichten des Bodenschlamms der Gewässer von organischen Abfall- und Reststoffen. Wo das Gewässer sehr stark belastet ist, zeichnen sich bestimmte Zuckmückenarten dadurch aus, dass sie als fertige Insekten sehr groß (also sehr ergiebig aus der Sicht der Vögel) werden und als Larven einen roten Blutfarbstoff in sich tragen. Er ähnelt stark unserem eigenen roten Blutfarbstoff, dem Hämoglobin, und seine Funktion besteht darin, in sauerstoffarmer Umgebung den Körper mit dem notwendigen Atemgas zu versorgen.
Mit organischen Reststoffen stark verschmutze Gewässer sind hoch produktiv an Roten Mückenlarven und danach an schwärmenden Insekten dieser Zuckmücken. Wie Rauchsäulen steigen sie zu ihren Tänzen in Wassernähe auf, in denen der Sirrton der Flügel angibt, um welche Art es sich handelt.
Auch andere Wasserinsekten vermehren sich massenhaft, wenn sie gut ernährt werden. Wie die bekannten Eintagsfliegen, die es früher in solchen Massen gab, dass ihre toten Leiber nach einem Schwärmflug die Uferstraßen mit einer zentimeterhohen, glitschigen Schicht bedeckten.
Unter solchen Bedingungen siedeln die Rohrsänger dicht an dicht – ideal für den Kuckuck. Die organischen Reststoffe stammten aus drei Quellen. Die eine umfasst den natürlichen Abfall an Blättern und anderem pflanzlichen Material von der Ufervegetation der Flussauen. Die zweite Quelle war das Weidevieh in den feuchten Niederungen, dessen Exkremente fein aufgearbeitete, pflanzliche Reststoffe mit Bakterien enthalten. Ein Kuhfladen ist so ergiebig, dass sich eine eigene Welt von Nutzern entwickelt hat. Die dritte Quelle war das Abwasser der Menschen. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurde es ungereinigt in die Gewässer eingeleitet, die davon gedüngt wurden.
Schmackhafte Kleininsekten verfüttern die Wirtseltern,
hier ein Teichrohrsänger, dem Jungkuckuck.
Wir betrachteten unser eigenes Abwasser und die Ausscheidungen des Viehs aus guten Gründen als Verschmutzung der Gewässer. Kläranlagen wurden gebaut und sind in ihrem Wirkungsgrad technisch so fortschrittlich, dass menschliches Abwasser in unserer Zeit nahezu vollständig geklärt wird. Die Gewässer belastet es nicht mehr. In derselben Zeit der letzten drei bis vier Jahrzehnte kam das Vieh von der Weide in die Ställe. Seine Ausscheidungen werden über die Schwemmentmistung zur Gülle. An die See- und Flussufer kommen Rinder nur noch selten oder gar nicht mehr. Damit verschwand auch diese Quelle der organischen Reststoffe. Übrig blieb der natürliche Bestandsabfall aus Laub und anderem pflanzlichen Material. Doch der ist weit entfernt von natürlichen Verhältnissen, weil die Flussauen zu über 90 Prozent gerodet und in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt worden sind. Die Flüsse hat man begradigt, sodass sie den Rest ihrer organischen Fracht viel zu schnell aus der Landschaft abtransportieren. Die Folge ist, dass unsere wieder sauber gewordenen Gewässer weit weniger Nährtiere für die Fische hervorbringen als früher.
Die Fischerei beklagt die geringen Fischbestände, die sie weithin nur durch Aussetzen von in Zuchtanstalten herangezogenen Fischen einigermaßen aufrechterhalten kann. An den Ufern entwickeln sich zwar aufgrund der übermäßigen Düngung aus der Landwirtschaft die Stechmücken in Massen, weil deren Larven von mikroskopisch kleinen Algen leben, aber kaum noch die viel wichtigeren Zuckmücken.
Wo aber aus dem Wasser zu wenig kommt, nützt das schönste Röhricht wenig. Es wird zur Kulisse, in der der Wind rauscht, aber kaum noch Rohrsänger singen. Dem Kuckuck schwindet die Lebensbasis. Sein Verschwinden sagt daher sehr viel aus über den Zustand der Natur. Viel mehr als so manche » offizielle Messung«. Denn bei der Gewässerbeurteilung geht es ausschließlich um Standards, die auf den Menschen bezogen sind. Ziel der wasserwirtschaftlichen Maßnahmen ist es nicht, Fische und Vögel, Muscheln, Libellen und Kleinkrebse zu fördern, sondern das Wasser so rein wie möglich zu machen, dass Menschen darin baden (und dabei auch einiges zurücklassen) können. Daher kamen in den letzten Jahrzehnten so viele Wassertiere in die Roten Listen der gefährdeten Arten. Die Auen wurden ihnen genommen und dann auch der Ersatz dafür als Nahrungsquelle.
Viele Milliarden wurden ausgegeben für die Reinhaltung der Gewässer, aber nur bei den menschlichen Abwässern. Die dreifache Menge, die aus der
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