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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H Reichholf
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» heimisch = gut« und » fremd = schlecht«, sind doch längst überwunden und Geschichte, aus der wir gelernt haben – so dachte man zumindest. Von wegen: » Ausgemerzt« sollen oder müssen sie werden, die Fremden, diese invasiven Scharen, die unsere gute Natur so sehr bedrängen. Sie haben hier kein Lebensrecht, weil sie » nicht hierher gehören«! Hinter diesem Kreuzzug gegen das Fremde in der Natur stecken gleich drei grundlegende Missverständnisse und Fehler, die sich zu einer scheinbar schlüssigen, edlen Haltung verbinden. Schauen wir uns diese drei Punkte genauer an, wird sofort klar, wie falsch die Argumentation ist.
    Erstens: Es gab und gibt keinen » richtigen Naturzustand«. Die Natur ist von Natur aus veränderlich. Sie verändert sich unmerklich langsam oder mitunter auch recht schnell, vor allem unter dem Wirken der Menschen. Die Tier- und Pflanzenwelt des 19 . Jahrhunderts repräsentierte keineswegs die » heimische Natur«. Auch sie war Ergebnis von Einwanderungen und Einschleppung in früheren Zeiten, insbesondere aber bestimmt durch die Art der Bewirtschaftung von Flur und Wäldern. Die Böden waren übernutzt und ausgelaugt. Weithin mangelte es an Nährstoffen für die Nutzpflanzen. Die Ernten fielen schlecht aus. Die Menschen hungerten häufig, weil es Missernten gab.
    Von diesem Mangel profitierten viele Pflanzenarten, vor allem solche, die nicht anspruchsvoll sind und die an besonders trockenen Standorten wachsen können. Mit ihnen verbunden sind sehr viele Tierarten, insbesondere Insekten und Vögel. Allerdings wurden zahlreiche Arten auch stark bejagt und weitestgehend ausgerottet. Mit der Einführung von Kunstdünger und später, nach dem Zweiten Weltkrieg, von ertragreicheren Sorten von Nutzpflanzen änderte sich die Lage grundsätzlich. Aus dem Mangel wurde innerhalb von nur einem Jahrzehnt, vor allem in den 1970 er Jahren, Überfluss. Die Artenvielfalt fing angesichts der Beschränkung auf bestimmte Sorten an zu schwinden. Verschonung von der Bejagung ermöglichte aber gleichzeitig zahlreichen Säugetieren und größeren Vögeln ein spektakuläres Comeback.
    Daher herrschen in unserer Zeit erheblich andere Verhältnisse in der Natur als im 19 . Jahrhundert, der Zeit, in der die ersten umfassenden Bestandsaufnahmen von Tier- und Pflanzenarten und ihrer Verbreitung bei uns vorgenommen wurden. Die » Neuen« müssen daher auf dieser so grundsätzlich veränderten Basis beurteilt werden.
    Zweiter Punkt: Die Überdüngung ist die Hauptursache für die rasche Ausbreitung und das Wuchern einiger weniger Pflanzenarten – und nicht deren » aggressive Natur«. Seit den 1970 er Jahren erhalten unsere Böden weit mehr Pflanzennährstoffe, als ihnen durch die Ernte wieder entzogen wird. Das Ideal des Kreislaufes funktioniert nicht mehr. Schon seit Anfang der 1990 er Jahre fügt die Landwirtschaft den Wiesen und Äckern im Durchschnitt mehr als 100 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr zu viel zu. In weiten Regionen mit Intensivlandwirtschaft steigt der Überschuss auf mehr als das Doppelte. Die Folge ist, dass alle Pflanzenarten, die auf magere, lichte und sonnige Wuchsorte angewiesen sind, selten wurden oder verschwanden.
    Es gibt sie kaum noch, die bunten Blumenwiesen, über denen Schmetterlinge in großer Zahl und in den verschiedensten Arten fliegen. Auf den Wiesen hat sich das Einheitsgrün verdichtet. Sie legen einmal im Jahr richtig Farbe an, wenn der Löwenzahn in Massen blüht. Auf den Feldern musste ohnehin die begleitende Vielfalt der Acker-Unkräuter, jetzt in Acker-Wildkräuter umbenannt, der Produktionssteigerung weichen. Ungespritzte, nicht gedüngte » Ackerrandstreifenprogramme«, aus dem Agrarhaushalt der Europäischen Union mit Milliarden an Subventionsgeldern bezahlt, sollten sie vor dem Verschwinden retten. Doch sie waren die » invasiven Arten« von früher, die die Landwirtschaft als Unkräuter mit Hacke und mechanischer Feldbearbeitung über Jahrhunderte bekämpfte. Zu ihnen gehören zum Beispiel die himmelblaue Kornblume, der herrlich rote Mohn, die Kornrade, der Echte Frauenspiegel oder das Ackerstiefmütterchen ebenso wie die Echte Kamille.
    Den heute invasiven Arten bereitete die Überdüngung den Nährboden. Sie sind dem Mais vergleichbar, der aus einem Korn im Mai austreibt und den Sommer über eine zweifellos höchst eindrucksvolle Pflanzenmasse aufbaut. Bis über drei Meter hoch wächst er auf gut gedüngten Böden. Im Rang hat der Maisanbau inzwischen in

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