Naturgeschichte(n)
Deutschland den Weizen erreicht oder sogar übertroffen. Von den Düngemitteln, die ihm zugeführt werden, um sein üppiges Wachstum zu versorgen, geht ein beträchtlicher Teil nicht » verloren«, sondern gelangt ins Grundwasser, in die Bäche, an die Böschungen und in die angrenzenden Kulturen. Dort können dank dieser Düngung die als invasiv gescholtenen Pflanzen wie das Indische (Drüsige) Springkraut, der Riesenbärenklau, der bei Sonnenschein schmerzhafte, ernst zu nehmende Verbrennungen bei Berührung mit nackter Haut verursachen kann, oder der schier undurchdringliche Dschungel des ostasiatischen Riesenknöterichs wuchern.
Eine weitere Nährstoffversorgung dieser » invasiven« Pflanze stammt aus dem Autoverkehr und den neuen, hocheffizienten Heizungen. Bei hoher Drehzahl der Motoren und bei hohen Verbrennungstemperaturen wird Luftstickstoff mit verbrannt. Er geht als » Dünger aus der Luft« flächendeckend übers ganze Land nieder. Je nach Region sind es 30 bis 60 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr. Diese Menge hielt man noch Anfang des 20 . Jahrhunderts für eine Volldüngung der Äcker. Deshalb gedeiht der besonders problematische Riesenbärenklau, der übrigens Ende des 19 . Jahrhunderts aufgrund seiner hohen Nektarproduktion als Bienenweide eingeführt worden war, aber ein ganzes Jahrhundert, bis in die 1970 er Jahre hinein, unauffällig blieb, weil er zu wenig Nährstoffe zum Wachsen hatte, vor allem entlang der Autobahnen ganz besonders gut.
Entsprechend verhält es sich in all den anderen Fällen, in denen Pflanzen oder Tiere » invasiv« geworden sind. Stets wurden ihnen vom Menschen besonders günstige Lebensbedingungen bereitet – unbeabsichtigt natürlich. Aber nicht die Absicht zählt, sondern die Gegebenheit als solche – und in allen Zeiten nutzten Tiere die Möglichkeiten, die sich bei den Menschen in Haus und Hof boten, seien es nun Ratten und Mäuse, Spatzen und Schwalben oder auch Flöhe und Läuse.
Dritter Punkt: Nicht alles, was » fremd« ist, ist schlecht. Die » Neuen« sind verdächtig, weil wir sie noch nicht gut genug kennen. Was früher als Neuling ankam, wurde mit der Zeit angenommen, gleichsam ordentlich eingebürgert, und genießt nun Bestandsschutz. Dazu gehören auch Feldhase und Feldlerche, das Rebhuhn und der so rar gewordene Wiedehopf und viele andere Arten, die es im mitteleuropäischen Waldland nicht gäbe, hätten die Menschen nicht die Wälder gerodet und mehr als die Hälfte der Landesfläche zu Acker- und Weideland umgewandelt. Ohne das Vieh gäbe es keine Stallschwalben, keine Weißstörche und nicht einmal Haussperlinge.
Wie sich die vielen Millionen Schwalben, die in Afrika den Winter verbringen, auf die dortigen Schwalbenarten, von denen mehrere sehr selten sind, auswirken, interessiert hierzulande nicht, weil wir ja » unsere« Schwalben schützen wollen. Haben wir uns an die » Neuen« erst lange genug gewöhnt, können wir sie als Tiere und Pflanzen vernünftiger betrachten. Wir können dann die Vorurteile, die von vornherein aufgebaut, sogar aufgebauscht werden, abbauen und vielleicht auch die Ursachen dafür ändern, die einige der » Neuen« so invasiv ( » aggressiv«) werden ließen.
Mit der Bedrohung seltener Arten auf Inseln durch die von Menschen dort neu angesiedelten oder dorthin verschleppten Pflanzen und Tiere hat das Geschehen bei uns recht wenig zu tun. Es ist richtig, dass die von den Europäern mitgebrachten Arten die Natur der Inseln geradezu verheerend beeinträchtigen können. Die eigentliche Ursache sind aber wiederum nicht die Tiere und Pflanzen, sondern der Mensch. Die Besiedelung der entlegenen Inseln führt zwangsläufig zu Veränderungen in der Inselnatur. Paradiesisch können sie nicht bleiben, sobald der Mensch kommt. Das geschah auch in früheren Zeiten, als zum Beispiel die Maori Neuseeland besiedelten und dort in kurzer Zeit die großartigen Moas, ganz ungewöhnliche und » friedliche« Straußenvögel, ausrotteten, oder als die Polynesier nach Hawaii gelangten. Die größte Änderung verursachte aber das Eindringen der Menschen nach Amerika. Wir täten also gut daran, nicht andere Arten zu verteufeln. Es liegt an unserem Tun, in welchem Ausmaß und in welcher Richtung sich Veränderungen in der Zusammensetzung von Tier- und Pflanzenwelt ergeben. Und dieses » Tun« ist längst nicht immer schiere Notwendigkeit.
Die Regenbogenforelle und der schwedische Biber
Darf man Tiere einbürgern?
Nun gibt es ja nicht
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