Naturgeschichte(n)
Da sollte der wilde Eber nicht stören. Der umgekehrte Fall, dass ein ächzender, dicker Hausschweineber in den Wald zu den Wildschweindamen gegangen wäre, brauchte nicht in Betracht gezogen werden.
Die Trennung von Haus- und Wildschweinen klappte über Jahrhunderte hinweg bestens, weil die wilden Eber gezielt gejagt und stark dezimiert wurden. Dann kamen die Schweine in den Stall, weil sie dort schneller groß und fett wurden. Der Schweinehirt wurde zu einer Rarität, die man bald nur noch in abgelegenen Teilen Europas bestaunen konnte. Den Wildschweinen gehörte nun der Wald wieder, vor allem die Eicheln und Bucheckern, die es in manchen Jahren in so großer Menge gibt, dass dieses Massenfruchten als » Mast« bezeichnet werden kann, weil es früher der Schweinemast ganz besonders zugutekam. Eichen- und Buchenwälder waren Wildschweinwälder. Doch sie liefern unregelmäßig und im Durchschnitt nicht gerade viel Nahrung, wenn man bedenkt, dass ein Schwein, das ein paar Hundert Kilogramm Körpergewicht aufbaut, dafür auch ziemlich viele Eicheln und Bucheckern braucht.
Also wurden Kartoffeläcker bei den Wildschweinen sehr beliebt. So kam es zu einem Kampf zwischen den vermehrungsfreudigen, klugen Wildschweinen und den Jägern. Die Wildschweine gewannen. Ihre Welt wandelte sich zur gegenwärtig wohl besten aller bisherigen Wildschweinwelten in Mitteleuropa. Dank einer Pflanze, deren Hauptzweck es tatsächlich ist, Schweinefutter zu erzeugen: Mais.
Die immense Ausbreitung des Maisanbau seit den 1970 er Jahren bereitete den Wildschweinen geradezu ein Schlaraffenland, in dem sie sich den Sommer über bis zum Spätherbst vor den Jägern bestens verstecken können. Ihr Bestand vervielfachte sich. Mit dem Maisanbau wuchs er auf das Zehnfache der früheren Größe Mitte des 20 . Jahrhunderts heran. Die Bejagung hält sie produktiv – hochproduktiv. Denn sie schöpft alljährlich so viel vom Bestand ab, dass im Winter für die Verbliebenen die Nahrung nicht zu knapp wird, und sie in guter Verfassung durch den Winter kommen. Bereit für eine muntere Jungenschar im nächsten Jahr, die da und dort dann auch die Vorzüge der Städte entdecken.
Der Wanderfalke und die Taube
Warum sind Städte die neuen Biotope?
Schlagzeilen machen Tiere erst, wenn etwas Schlimmes passiert. Wie etwa » Wildschwein demoliert Jaguar«. Oder » Giftspinne im Gemüse«. Die friedliche Eroberung der Städte durch Tiere blieb dagegen weitgehend unbemerkt. Wer schaut schon aus dem Verkehrsgewühl nach oben, wo über den Dächern blaugraue Wanderfalken wie lebendige Geschosse die Stadttauben jagen. Nur Kenner erkennen an den Fassaden des Kölner Doms den wilden Falken. Um das Gewimmel der Menschen unter ihm kümmert er sich nicht. Sein Auge ist fixiert auf die Tauben und schätzt ihre Schwächen ab. Lediglich ein paar herabsegelnde Federn verraten einen Jagderfolg. Der Wanderfalke, jahrzehntelang und weltweit Sorgenkind der Naturschützer, zieht seit nunmehr gut zwei Jahrzehnten erfolgreich seine Jungen auf hohen Gebäuden der Städte groß. Dort sind sie sicherer als an einsamen Felswänden, an denen Kletterer seinem Horst zu nahe kommen. Den Kölner Dom ersteigt niemand, um Falkeneier zu rauben.
Gut geht es in den Städten auch den Habichten und Sperbern, weil sie in deren Bannkreis sicher vor Verfolgung sind. Nahrung finden sie genug, weil es in der Stadt auf viel engerem Raum bedeutend mehr Vögel gibt als draußen in den Wäldern. So kommt auf jeden Berliner mindestens ein Vogel, auf jeden Münchner, Kölner, Frankfurter oder Dresdener auch. Die anderen Städte mögen es mir nachsehen, dass sie nicht genannt werden. Für alle gilt, dass in ihren Mauern mindestens so viele Vögel wie menschliche Einwohner Leben. Millionenstädte der Menschen sind Millionenstädte der Vögel. Nach der Brutzeit, wenn die Jungen flügge sind, sind sie sogar Mehrmillionenstädte. Das liegt keineswegs nur an den Mengen von Tauben und Spatzen, Amseln und Krähen, den Vögeln, die wir kennen und fast überall sehen. Auch viele andere Vogelarten sind in den Städten häufig. Berlin darf sich mit Fug und recht » Hauptstadt der Nachtigallen« nennen, denn über Tausend singen im Frühsommer im Stadtgebiet. Hamburg ist dank vieler Seevögel besonders vogelreich. Kein deutsches Vogelschutzgebiet beherbergt so viele Vogelarten wie die Hansestadt oder Berlin. Vertreter von zwei Dritteln aller Vogelarten, die in Deutschland als Brutvögel überhaupt vorkommen, lassen sich
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