Nauraka - Volk der Tiefe
den Seeschwärmer zurück, der widerstrebend gehorchte, aber zusehends williger wurde, als er feststellte, dass keine Gefahr mehr drohte. »Hilf mir suchen, Dullo … wir müssen sie finden …«
Sie suchten den Rest des Helldämmers, den ganzen Dunkeldämmer hindurch und noch bis zur Mitte des nächsten Helldämmers.
Keine Spur von Lurdèa war zu finden, nicht ein winziger Hauch ihres ausgestoßenen Atems. Sie war fort.
Erenwin fühlte nur noch dumpfe Leere in sich, als er Dullo schließlich Richtung Darystis lenkte. Die tiefe Erschöpfung, die seinen Körper ergriffen hatte, drang nicht bis zu seinem Geist durch. Er hatte seine Schwester verloren. Das konnte er sich nie verzeihen.
Niedergeschlagen erreichte Erenwin die Stadt. Die Patrouille hatte ihn längst bemerkt und eskortiert, jedoch in respektvollem Abstand. Der Prinz kehrte in einem Zustand wie aus einer verlustreichen Schlacht zurück, auch sein Seeschwärmer schlug nur noch müde schwach mit den Schwingen und glitt flach durchs Wasser.
Erenwin zwang den Schlaf zurück, der ihn zu überkommen drohte. Zuerst musste er es hinter sich bringen.
Als er die Gründe erreichte, erwartete ihn bereits Geror. Erenwin rutschte vom Nacken des Seeschwärmers herunter und übergab ihn wortlos dem Obersten Jäger. Er registrierte nur am Rande den entsetzten Blick des Mannes, als er den Prinzen von nahem in Augenschein nahm. Wahrscheinlich erkannte er ihn kaum wieder.
Dann schleppte er sich weiter durch die Stadt, flankiert von der Wache, die das Volk von ihm fernhielt. Von überall her strömten sie zusammen, um ihn anzustarren, doch niemand wagte ein lautes Wort oder eine Frage. Trauernde Stille herrschte allgemein, und Erenwin begriff, dass auch hier alle den Tod Turéors gespürt hatten. Mehr konnten sie vermutlich nicht wissen, und noch weniger verstehen, was geschehen war.
Erenwin verstand es selbst nicht, obwohl er mittendrin gewesen war. Er war wie gelähmt, betäubt. Der Nebel vor seinen Augen wallte nun auch durch seinen Geist, selbst seinen Körper.
Sein Vater erwartete ihn bereits in der Thronhalle, seine Mutter saß ebenfalls auf ihrem Thron, was nur sehr selten vorkam. Lurion hielt sich am Rand; er tat so, als würde er Erenwin nicht bemerken.
»Du brauchst nichts zu erzählen, was wir schon wissen«, dröhnte ihm die harte Stimme Ragdurs entgegen, kaum dass er hereingeschwommen war. »Turéor ist tot. Aber wie konnte das geschehen? Du bist hier, warum? Und in was für einem Zustand – ich erkenne dich kaum wieder!«
»Ich will Euch alles erklären«, sagte Erenwin leise. »Doch es wird eine Weile dauern.«
Er verschwieg, was mit ihm geschehen war. Aber er erzählte alles über Lurdèas Martyrium, ihre Befreiung, Turéors Kampf und die Flucht. Er berichtete, was Turéor ihm aufgetragen hatte, und dass er den Tod freiwillig wählte, um seinen Frieden zu finden. Er gab die Wahrheit über Turéors Herkunft preis, und die bittere Erkenntnis über den Alten Feind. Die Bedrohung durch ihn und den Verrat von Janwe.
Als er von der Suche nach Lurdèa sprach, merkte Ymde an, dass ihre Tochter das Meer verlassen habe. Nichts von ihr sei mehr zu spüren, kein noch so kleiner Tropfen. Sie sei fort, verloren. Erenwin vermutete daraufhin, dass er sie bereits bei dem Sprung aus dem Wasser verloren hatte.
Der Hochfürst hörte die ganze Zeit mit finsterer Mine zu, ohne ihn zu unterbrechen. Nicht ein Funke Verständnis blitzte in seinen Augen auf.
»Und nach alldem«, sagte er schließlich langsam, nachdem Erenwin geendet hatte, » wagst du es auch noch, hierher zu kommen und mir diese Schande zu bereiten? Du hättest den Tod tausendmal mehr verdient als Turéor, und du hättest anstelle deiner Schwester verschwinden sollen!«
»Vater!«, rief Erenwin voller Schmerz. »In diesem schrecklichen Moment brauche ich Euren Rat, Eure Unterstützung, Eure Zuneigung! Empfindet Ihr denn gar nichts für mich, Euren leiblichen Sohn, Blut von Eurem Blut?«
»Doch: Abscheu«, grollte Ragdur. »Geh mir aus den Augen, Erenwin, doch vorher noch wird mein Fluch dich hier und jetzt treffen! Nie wieder darfst du durch diese Gefilde streifen, es gibt keinen Ort in der See mehr für dich, wo du verweilen darfst. Diesmal verstoße ich dich nicht, sondern ich verfluche und brandmarke dich, auf dass jedes Volk der See von deiner Schande erfährt, dass du deine Schwester im Stich gelassen und verraten hast! Du bist nun allein auf dich gestellt, gehörst keinem Volk mehr
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