Nauraka - Volk der Tiefe
doch diesmal ging es leichter und schneller. Er schnappte nach Luft und blinzelte um sich. Das Licht war hell, doch aufgrund des grauen Schleiers vor seinen Augen erträglich. Die Maserungen auf seinen Armen spielten mit dem reflektierenden Sonnenlicht.
Staunend verharrte Erenwin. Das Meer verlief sich an einem Sandstrand, und dahinter lag Land. So weit er schauen konnte. Eine große, hügelige Weite mit gelegentlichen Bäumen – Holz -, ganz wie Hallog der Händler ihm einst erzählt hatte. Die Bäume sahen von der Form her so ähnlich aus wie der Korallenbaum, nur mit weiter ausladenden, größeren Kronen, bedeckt von grünen Blättern .
Erenwin fühlte große Erregung, weil er nun all das erblickte, was er bisher nur aus Erzählungen kannte. Jede Bezeichnung, die er eifrig gelernt und sich gemerkt hatte, bekam nun endlich greifbare Bedeutung. Er erkannte alles wieder, als habe er es schon einmal gesehen.
Das Land sah einsam und verlassen aus, aber das konnte auch an der niedrigen Perspektive liegen, denn von hier aus wirkten die Hügel höher, als sie vermutlich waren, und behinderten die Sicht auf das, was hinter ihnen lag.
Hoffentlich blieb es so einsam. Erenwin wollte niemanden in seiner Nähe wissen, wenn er zum ersten Mal das Wasser verließ. Weder Freund noch Feind; dies war ein sehr intimer Moment, der nur ihm allein gehörte.
Die Sonne trocknete die Haare auf seinem Kopf, und die Haut begann zu jucken. Es war sehr warm, und Erenwin sah sich nach einer Stelle um, wo er Schatten finden konnte. Doch weit und breit war nur ein schmales Band aus feinem, goldgelbem Sand, kein Baum, kein Busch. Das trocknende Gefühl auf seiner Gesichtshaut war ebenfalls nicht angenehm, und er war froh um die schützende Kleidung.
Er sollte es hinter sich bringen. Am besten kriechend, denn so vermessen, dass er gleich aufstehen und gehen könnte, war er gewiss nicht. Dazu benötigte es Übung. Er wusste von den Nices, dass sie mit ihren Fischschwänzen geschickt genug waren, um sich auf Felsen zu setzen, aber so richtig an Land gehen konnten sie nicht. Ihre Schuppenhaut wurde auch schnell rissig und begann zu bluten, wenn sie sich zu lange außerhalb des Wassers aufhielten.
Niemand war wie die Nauraka. Und ich bin immer noch ein Nauraka , dachte Erenwin trotzig, ich bin so geboren und werde auch so sterben, meine Hülle will ich nicht abstreifen, und mein Bewusstsein auch nicht. Hier an Land weiß niemand, dass ich verflucht bin und nicht zu meinem Volk zurück darf. Ich werde daran festhalten, und an meinem Namen, denn er ist mir als Einziges geblieben. Den hat Ragdur mir nicht entrissen … vielleicht aus Rücksicht auf meine Mutter. Also werde ich ihn weiterhin tragen.
Das Flüstern in ihm schien ihn zu ermahnen, sich nicht weiter abzulenken, sondern die Trennung zu vollenden.
Er streckte die Arme nach vorn und zog seinen Körper ganz langsam, Stück für Stück an den Strand. Doch schon nach der Hälfte, als sein Oberkörper das Land erreicht hatte, brach er fast zusammen. Es war schwer, so schwer!
»Ich … ich schaffe es nicht …«, wimmerte er und fiel in den warmen Sand, der an seiner Haut klebte. Seine Beine trieben noch im Wasser, schienen ihn zurückziehen zu wollen in die Schwerelosigkeit. Er hätte nie gedacht, was für ein Gewicht die Landgänger mit sich herumschleppten. Wie schaffte Hallog das nur, bei seinen gewaltigen Fettmassen? Verfügte er über einen Leichtigkeitszauber?
Es konnte nicht sein, dass er bereits hier scheiterte und elend zugrunde ging. Welchen Sinn hätte dann alles gehabt?
Also, auf mit dir, edler Prinz, der du mal gewesen bist! Von frühesten Kindheitstagen an bist du ausgebildet worden, du kannst jagen und kämpfen, da wirst du auch das Gehen lernen!
Diese Qual war weit von seinen Abenteuerträumen entfernt. Was für ein törichter Knabe war er damals doch gewesen! Und nun war er ein Mann und musste sich schämen.
Seine Finger krallten sich tiefer in den Sand, bis in die unteren, feuchten, festeren Schichten, die zugleich lindernde Kühle boten. Weiter zog er sich, schwach und elend. Das Gewicht lastete nun voll auf seinen ungeübten Lungen, und er rang mühsam nach Luft. Nach Luft, die so trocken und beißend war, voller Sand und Salz, dass er husten musste, was alles nur noch mühsamer machte. Wieder fiel er in den Sand, dem Erstickungstod nahe. Vielleicht sollte er doch zurück ins Wasser und erst im Mittlicht einen neuen Versuch wagen, wenn die Sonne nicht mehr so heiß
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