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Nauraka - Volk der Tiefe

Nauraka - Volk der Tiefe

Titel: Nauraka - Volk der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Zietsch
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seht Euch ihre kostbare Kleidung an, ihre fein geschnittenen Gesichtszüge. Das ist nicht einfach irgendein Meerweib, sondern sie ist von edler Abstammung. Wenn wir sie als Prinzessin von Siebensturm verkaufen, wäre dies die erfolgreichste Fahrt seit langem.«
    Horwik zögerte. »Glaubt Ihr wirklich? Sie stinkt ja schon ein wenig.«
    »Weil sie im Meer lebt, Kapitän, aber dagegen können wir etwas tun!«, rief Palong erbost. »Ich kann Euch auf einen Schlag ein halbes Dutzend Händler aus den Wüsteneien im Süden unten nennen, deren Herren kostbare Perlen und Geschmeide sammeln, und die sich gern mit Frauen schmücken, die niemand sonst hat. Eine Meerfrau von den Alten Völkern ist eine Sensation!«
    Lurdèa war fassungslos. Nicht nur, dass die beiden Männer sich ungeniert in ihrer Gegenwart über sie unterhielten, sie wollten sie einfach verschachern, wie einen guten Fisch! Dabei hatte sie ein Martyrium gerade erst hinter sich gebracht – und jetzt sollte sie ins nächste geschickt werden?
    »Ich bitte Euch, edle Herren«, sprach sie dazwischen und bemühte sich, die Worte genauso auszusprechen und zu betonen wie die Landgänger. »Meine Familie ist in sehr großer Gefahr. Ich muss sofort nach Hause. Bitte lasst mich schwimmen, ich kann das Land ohnehin nicht lange ertragen und werde sterben, wenn ich mich zu lange außerhalb des Wassers aufhalte.«
    Die beiden Männer wandten sich ihr zu. »Netter Versuch«, meinte Palong grinsend. »Aber du präsentierst dich perfekt angepasst, Meerling. Ich sehe keine Flossen, keine Kiemen, keinen Unterschied zu uns.«
    »Notfalls stecken wir dich in einen Bottich, der mit Meerwasser gefüllt ist«, fügte Horwik hinzu.
    »Ihr habt kein Recht dazu!«, sagte sie empört.
    »Gegen diesen Kampfgeist müssen wir aber etwas unternehmen, mein Bester.«
    »Da gibt es Mittel, Kapitän, und was danach geschieht … nun, das ist nicht unser Problem.«
    »Ihr habt von Wüsteneien gesprochen. Hitze und Trockenheit sind wie tödliches Gift für mich«, versuchte Lurdèa es noch einmal.
    Diesmal glaubten sie ihr, denn ihre im Halbschatten liegenden Füße wurden bereits rot und schwollen an. Außerdem dürfte selbst ihnen bekannt sein, dass in der Tiefe dämmrige Kühle vorherrschte.
    »Na, dann«, sagte Horwik enttäuscht und schien schon fast geneigt, sie wieder zurückzuwerfen.
    »Langsam!«, lachte Palong. »Ich kenne auch ein halbes Dutzend Händler aus dem Nordosten, wo es einsame Burgherren gibt, die nach einer angemessenen Frau suchen.«
    Das Gesicht des Kapitäns hellte sich sofort wieder auf.
    Lurdèa hatte genug gehört. Es war nicht weit bis zum Meer, nur ein paar Schritte, und ein kurzer Sprung. Das konnte sie schaffen.
    Sie schüttelte die Schwere ab und zwang sich hoch, spannte alle Muskeln an. 

    Ich bin ein Aal, der durch die Kluft gleitet, ich bin ein Fisch, der vor dem Sturm herschwimmt, ich bin ein Wal, der auf den Wellen reitet, ich bin der Seeschwärmer, der durch die Sphären schwebt, ich bin die Muräne, die im Finstren lauert. Ich bin Nauraka!

    Bereits jedes Kleinkind lernte das Gebet, um ein unüberwindlich scheinendes Problem zu lösen. Es verbannte Furcht und störende Gedanken und ermöglichte völlige Konzentration.
    Lurdèa dachte an nichts anderes, während sie sich auf die Füße kämpfte. Ihr war schwindlig und übel, und der Schmerz in den Beinen wollte sie niederzwingen, ihre Muskeln bebten vor Anstrengung. Ihr Haar klebte wie Schlingtang an ihr, und sie spürte die Kraft der Sonne mit voller Wucht, als sie aus dem Schatten trat, zum ersten Mal auf ihren Füßen stand, erstaunt über das Wunder, wie diese kleinen Stützen ihr gesamtes Gewicht tragen sollten.
    Das Meer war greifbar nahe. Nur zwei Schritte und ein kleiner Sprung. Niemand konnte sie aufhalten, sie war Nauraka und zu schnell für die plumpen Landgänger, die ohnehin viel zu begriffsstutzig waren. Sie rührten sich ja nicht einmal; waren langsam, so langsam.
    Gleich war sie dort, niemand konnte ihr dann in die Tiefe folgen. Lurdèa unternahm den nächsten Schritt, ungeachtet der Hitze, die ihre Haut austrocknete und zum Glühen brachte, die zitternden Muskeln weiterzwingend, denn ihr Wille war stärker als ihr Körper.
    Dann fiel sie um.

    »Hupps«, machte Horwick.
    »Tja«, bemerkte Palong, »es ist eben doch ein Unterschied, senkrecht oder waagrecht zu sein. Aber mach dir nichts draus, Meerling – die meisten Männer wollen dich ohnehin am liebsten in der Waagrechten.«
    Der Kapitän

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