Nauraka - Volk der Tiefe
eine ganz andere es dann tatsächlich zu riskieren. Wie mochte wohl Hallog sich gefühlt haben, als er zum ersten Mal die Tauchglocke bestiegen und danach mit dem Atemschlauch verlassen hatte? War es ein erhabener Moment gewesen, in eine völlig fremde, für einen Landbewohner sogar tödliche Welt einzutauchen?
Noch immer schwamm der Prinz im Kreis. Nur noch eine halbe Mannslänge trennte ihn von der Grenze. Wagte er es? Was würde wohl geschehen? Konnte er es ertragen? Was musste er überhaupt tun?
Seine Finger glitten über die Kiemenlamellen, die hektisch auf- und zuklappten. Allein der Geschmack des Wassers war berauschend, das sollte Lurion mal probieren! Eri konnte es überhaupt nicht in Worte fassen, was nun in ihm vorging. Die Wärme der Sonne zu spüren, den freien, leeren Himmel über sich zu sehen …
Nun, im Grunde hatte er alles erreicht, was er wollte. Er konnte jetzt wieder umdrehen und einen Weg zurück suchen.
Aber würde er es nicht bereuen, die letzte Distanz nicht überwunden zu haben? Würde es ihn nicht umgehend wieder hierher treiben? Und wäre dann sein Mut nicht noch tiefer gesunken?
Ich muss es wissen.
Eri zappelte unruhig wie ein Fisch im Treibnetz. Angst hielt ihn zurück, Neugier trieb ihn voran. Er kam der Grenze immer näher. Schließlich konnte er schon den Arm ausstrecken … und ehe er sich versah, hatte er die Hand aus dem Wasser gereckt.
Es fühlte sich an wie … nichts . Keine schützende Umhüllung mehr, keine Strömung, die ihm verriet, was um ihn her passierte. Nur etwas, das ihm die Nässe von der Hand blies. Wind. Luft .
Seine Haut trocknete und zog sich zusammen. Für einen Moment befürchtete Eri, sie würde reißen. Doch als er die Hand bewegte, die Finger krümmte und ausstreckte, war die Haut nach wie vor geschmeidig. Sie fühlte sich nur anders an. Rau? Sein Tastsinn war völlig durcheinander.
Er war so beschäftigt, dass er sich von einer stärkeren Welle tiefer in die Grotte tragen und gleich darauf wieder hinausziehen ließ, als sie sich zurückzog.
Und in diesem Moment geriet sein Kopf aus dem Wasser, ebenso der Hals, bis zu den Schultern.
Eri war so erschrocken, dass er reglos verharrte. Zu seinem Entsetzen blieb das Wasser verschwunden. Seine Kiemen klapperten aufgeregt, pressten das letzte Wasser aus ihm, ohne neues nachziehen zu können. Eris Mund schnappte instinktiv auf, bevor er nachdenken konnte, und sog panisch Luft ein. Ein lauter, pfeifender Laut schallte durch die Grotte, als Eri außerhalb des Wassers den ersten Atemzug seines Lebens nahm. Er sog die Luft tief ein – und gleich darauf zog sich alles in ihm zusammen. Stoßweise strömte der Atem wieder heraus und mit ihm ein Schwall Wasser, den er keuchend ausspuckte. Dann öffnete sich sein Mund erneut, und er spürte die Lungen in seinem Körper, die ihn zwangen, weiterzuatmen, sie mit Luft zu versorgen. Dankbar blähten sie sich auf und pressten sich wieder zusammen. Sein Brustkorb dehnte sich und fiel wieder ein, und Eri legte die Hände daran, um das Atmen zu fühlen.
Es war zuerst ein großer Schrecken gewesen, aber es tat nicht weh, und er erholte sich schnell. Fasziniert beobachtete Eri sich selbst beim Atmen, lauschte dem Klang, spürte das Heben und Senken der Brust. Sein Hals war völlig glatt, die Kiemen verschwunden, als wären sie nie vorhanden gewesen. Als er unter seine Arme tastete, waren auch die Häute verschwunden. Mit leichten Fußflossenschlägen hielt er sich auf gleicher Wasserhöhe und hob die Arme. Er tastete in die Luft, fuhr sich durch die nassen Haare, über das Gesicht. Spürte, wie schwer jede Bewegung in der Luft war, ganz anders als im Wasser.
Dann kicherte er, verstummte entsetzt, als er den Klang seiner Stimme in dieser Welt hörte, und kicherte wieder. »Hallo?«, wagte er dann zaghaft ein erstes Wort. »… lo … lo …«, warfen die Wände der Grotte zurück. Das Wasser spiegelte sich in flimmernden Wogen an ihnen, und Eri war sicher, sein erstes Wort darin treiben zu sehen.
Er konnte sprechen, er konnte atmen. Genau, wie die Nices gesagt hatte. Wie Turéor es ihm versprochen hatte.
»Ich … bin … Prinz … Erenwin«, sprach er langsam einen ganzen Satz aus und lauschte sehr aufmerksam auf den Klang und das Echo. War seine Stimme schön? Er konnte es nicht beurteilen. Sie klang sehr fremd, wie alles hier draußen. Viel härter, schärfer, und war schnell verklungen. Ein kurzer Nachhall, dann brach der Klang ab.
Hier oben gab es sonst keine
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