Nauraka - Volk der Tiefe
dich in große Gefahr begibst.«
Luri schwieg einige Zeit, ihr Gesicht war undurchdringlich. »Eri, ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll«, sagte sie schließlich. »Du übertrittst eines unserer strengsten Gesetze, bringst mich hier herauf, riskierst Vaters Zorn, nur um mir das zu sagen? Willst du, dass er aus Wut, wenn er es herausfindet, meine Hochzeit absagt?«
»Ich kann dir nicht mehr sagen«, wiederholte er. »Du solltest es dir hier oben anhören, in einer fremden Welt, wo alles anders klingt und riecht und schmeckt. Du solltest den Himmel sehen und die Sonne, damit du erkennst, dass es noch viel mehr gibt als das, was die Tradition unserer Sippe uns lehrt. Wir haben größtenteils vergessen, wer wir sind, und wir werden immer mehr in Bedeutungslosigkeit und Vergessen versinken, wenn wir so weitermachen. Du wirst dich in Gefangenschaft begeben, Luri, und dann wird wieder etwas Kostbares verlorengehen.«
»Du bist zu viel mit Onkel Turéor zusammen und plapperst nach, was er dir einflüstert«, erwiderte sie. »Nein, Eri, ich werde meine Entscheidung allein treffen. Wenn Fürst Janwe nicht meinen Vorstellungen entspricht, werde ich die Verbindung ablehnen.«
»Vater wird dich zwingen«, sagte er leise. »Er wird dir die Freiheit der Entscheidung nicht lassen, und das weißt du.«
»Dann kann ich immer noch mit dir fliehen!«, rief sie und hob die Arme. »Ist es das, weswegen wir hier sind? Ja, ich kann an Land leben, wahrscheinlich genauso wie du! Schon einmal hat eine Sippe das Meer verlassen, also warum nicht wir? Vermutlich gefällt es mir sogar, denn das Sonnenlicht ist herrlich, und dieser Himmel!« Sie schüttelte den Kopf. »Aber was ist, wenn du dich irrst? Wenn mir mein künftiger Gemahl gefällt und er mir alle meine Wünsche erfüllt?«
»Also gut«, sagte er. »Also gut. Wenn es so ist, dann begleite ich dich zusammen mit Onkel Turéor. Ich werde dir zur Seite stehen, als deine Leibwache und dein Vertrauter, und auch als Diener, wenn es notwendig sein sollte. Ich werde immer für dich da sein, Luri, und dich beschützen, solange du mich brauchst. Wenn es eine Lebensaufgabe ist, dann nehme ich sie an. Das verspreche ich dir hier und jetzt, vor Lúvenors unverhülltem Auge.«
Lurdèa war gerührt. »Du bist ein romantischer Tölpel«, stellte sie fest und ergriff seine Hand. »Lass uns noch ein wenig hier oben herumschwimmen und reden, bevor wir zurückkehren.«
6.
Brauttanz
Die ganze Familie und die wichtigsten Vertreter des Hofstaats erwarteten festlich gewandet und geschmückt die Ankunft des Brautwerbers. Ragdurs engster Berater Foril war ihnen zusammen mit der Ehrengarde entgegengeschwommen, als ihr Eintreffen an der Grenze von Darystis gemeldet wurde. Er sollte den Fürsten und sein Gefolge ehrenvoll in Empfang nehmen und zur Stadt geleiten, wo sich bereits das Volk versammelte.
Eri wäre gern dabei gewesen, mitten in der Menge, doch er musste sich genauso wie seine Schwester gedulden. Von draußen waren Hochrufe zu hören, und das Wasser strömte unruhig herein und schlug Wellen, brachte eine Menge aufregenden Geschmacks und Gerüche mit. Vertraut, und doch ganz fremd; Eri bemerkte, wie seine Haut vor Erregung leicht ölig wurde, wie in zu großer Wärme. Seine Kiemen klapperten, er war genauso angespannt wie in jenem Moment, als er zum ersten Mal den Kopf aus dem Wasser gestreckt hatte. Obwohl das der aufregendste Moment seines Lebens gewesen war, war dieser nur für ihn von Bedeutung gewesen – nun aber kam es zu einer außergewöhnlichen Begegnung mit einer anderen Nauraka-Sippe, und das war von großem Ausmaß für alle Darystis!
Unruhe entstand am Eingang zur Halle, und dann kam Foril herein, gefolgt von zwei Gardisten, die sich links und rechts mit erhobenen Sichellanzen am Eingang postierten.
Feierlich sagte der Hofstaatmeister, während er die Einleitung zum Staatsbesuch tanzte: »Ehrwürdiger Hochfürst, Herr aller Nauraka, ich darf den Besuch des ehrenwerten Fürsten Janwe von Karund ankündigen und erbitte in seinem Namen Eure Einladung in diese Halle.«
»Sie sei gewährt, in Freundschaft und tiefer Zuneigung«, erklang Ragdurs volltönende Stimme durch die Halle und vermutlich bis nach draußen. »Große Freude beherrscht uns alle in diesem bedeutenden Moment der Zusammenkunft, ja des Zusammenfindens, des Anbruchs einer neuen Zeit.«
Eri warf einen Blick zu Turéor, der keineswegs erwartungsvoll, sondern wie in den vergangenen Dämmerungszyklen
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