Nauraka - Volk der Tiefe
verborgene Falte und umschloss zitternd die Perle. »Was geschieht mit mir?«, wisperte er ängstlich, doch die Stimme in ihm schwieg. Er hielt die Perle vor seine Augen, verlangte eine Antwort, doch sie gab keine. Es sah so aus, als sei sie kleiner geworden, aber deswegen nicht leichter. Ich muss mich täuschen , dachte Eri. Doch es war nicht zu leugnen, er konnte die Hände darum schließen. Wie war das möglich?
Morgen ist alles vorbei, und ich werde mich besser fühlen .
Luri sprach ihn jedoch im Frühlicht an: »Was ist denn mit deinem kleinen Finger passiert? Der ist ja ganz schwarz.«
»Ich habe ihn versehentlich in der Tür eingeklemmt«, erwiderte Eri und hoffte, dass sie ihm glaubte. Ratlos rieb er sich heimlich den Finger; es war alles in Ordnung mit ihm, abgesehen davon, dass er sich wie die Nägel zuvor schwarz verfärbt hatte.
Immer tiefer ging es in fremde Gefilde, durch unendlich scheinendes diffuses Blau. Bis Janwe sie im Verlauf des Glanzlichts plötzlich nach oben führte, und der Grund dafür wurde bald ersichtlich. Aus der Tiefe wuchs hügeliger heller Sandboden empor, und das Wasser wurde glasklar und zartgrün. Versteinerte Röhrenwürmer bildeten den Grundstock für Klammertang und Seidenalgen; Gurken, Spinnen und Igel wanderten durch den Sand oder versteckten sich vor den Scherenschnäppern. Aale warfen schlängelnde Schatten in den Sand, aus dem die Stielaugen der Speerzungenrochen ragten. Große Fußmuscheln krochen über Gesteinsbrocken und kamen dabei den gefährlichen Perlenschnecken und Schnappmuscheln gefährlich nahe.
Eri konnte sich gar nicht sattsehen daran und lenkte Dullo tiefer, um mitten darin zu sein. Auch Luri hatte ihre Freude und lauschte Janwes Erzählungen.
Es würde es keine weitere Unterkunft und Übernachtung geben, da Janwe auf dem kürzesten und schnellsten Wege in sein Reich wollte. Daher mussten sie selbst für Nahrung sorgen. Sie schwammen im Mittlicht durch einen Schwarm Sardinen und machten sich einen Spaß daraus, sie zu fangen. Auch die Seeschwärmer hatten Vergnügen daran, durch die silbernen Wolken zu fegen; dabei öffneten sie nur das Maul und schluckten, mehr brauchten sie nicht zu tun. Die Nauraka tauchten schließlich aus dem Schwarm und trieben sich die Beute gegenseitig zu, bis jeder zwei zappelnde Fische in der Hand hielt. Sie machten am Rand eines Tangwaldes Rast und verzehrten die Fische. Hier draußen, umgeben von Wildnis, schmeckte Eri der Fisch sehr viel besser, und auch das herumtreibende Blut machte ihm nichts aus. Dass keine ungebetenen Räuber davon angelockt wurden, dafür sorgten die in der Nähe schwebenden Seeschwärmer.
»Janwe, du hast mir nie von deinen Eltern erzählt«, sagte Luri während des Schmauses.
»Das liegt daran, dass ich keine mehr habe, und auch sonst keine Familie«, antwortete der Fürst. »Meine Eltern starben durch einen tragischen Unfall, und ich war früh auf mich allein gestellt. Ich musste mich durchschlagen, bis ich schließlich Karund … eroberte, kann man wohl sagen. Es befindet sich noch im Aufbau, aber mein Palast kann sich sehen lassen. Natürlich nicht so groß und schön wie Darystis, doch ich bin durchaus stolz darauf.«
»Zu recht, da bin ich sicher«, meinte Luri. »Tut mir leid, das mit deinen Eltern.«
»Ich habe ja jetzt wieder eine Familie«, lächelte er. »Dich, deinen Bruder, und vor allem den edlen Turéor. Das wird mein Ansehen um ein Vielfaches steigern und die Verhandlungen mit den benachbarten Sippen, die noch nicht zu Karund gehören, erleichtern.«
»Ich lege keinen Wert auf Berühmtheit«, sagte der alte Nauraka griesgrämig. »Es gibt keinen Grund, mich zu verehren.«
»Oh, das sehen wir aber anders. Schließlich repräsentiert Ihr die legendäre Königslinie.«
»Wer gehört denn bereits zu deinem Reich?«, wollte Eri ablenkend wissen, als er sah, dass die hellen Augen seines Onkels sich trübten.
»Haland und Jerkil«, gab Janwe Auskunft. »Sagt dir das etwas?«
»Nur die Namen, mehr weiß ich nicht«, gab Eri zu. »Sie sind jedenfalls älter als Karund, das mir bis jetzt völlig unbekannt war.«
»Sehr viel älter, was nicht schwer ist – schließlich besteht mein Reich erst seit drei Korallenstäben. Doch es ist von Bedeutung, dass wir uns wieder vereinen, denn andere Nauraka-Reiche und mit ihnen ihr Wissen sind bereits unwiederbringlich verloren.«
»Du bist sehr ehrgeizig, nicht wahr?«
»Allerdings, ich habe viel vor. Und deine Schwester wird mir beistehen,
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