Nauraka - Volk der Tiefe
kann sie riechen, und die Wellen schlagen hoch. Janwe ist bei ihnen.«
»Mhm«, machte Erenwin, der seine Muschelflöte hervorgeholt hatte und sich konzentrierte. Er hatte lange nicht mehr darauf gespielt und durfte sich keinen Fehler erlauben. Er setzte sie an den Mund und blies leicht in die Flöte. Als der erste Ton genau die richtige Welle schlug, fand er sich schnell hinein und spielte eine Melodie, die alle drei Seeschwärmer sofort anlocken würde. Sie schwang wie ein schmales Band durch das Wasser, sank hinab in die Gründe … und erhielt Antwort.
Erenwin erkannte sofort den Klang seines Seeschwärmers, der kaum hörbar, nicht mehr als ein dünnes Zirpen, herauffloss. Die Karunder konnten diesen Laut sicher nicht hören. Er setzte die Melodie fort, und dann schlugen plötzlich Wellen von unten herauf – und der erste Seeschwärmer stieg über den Bruch, mit gewaltigen Schwingen und einem leuchtend roten Fleck an der Seite.
»Dullo, bist du etwa gewachsen?«, rief der Prinz fassungslos.
Der Seeschwärmer zirpte zur Antwort und ging in die Waagrechte. Hinter ihm folgten die beiden anderen nach.
Gleichzeitig hörte Erenwin die Schreie der Karunder, und er sah sie näher kommen, bis an die Zähne bewaffnet und zu allem entschlossen.
»Komm, Luri, wir müssen los«, drängte er seine Schwester, die abwesend auf die herannahenden Feinde starrte.
»Kann es sein …«, flüsterte sie. »Ich träume doch nur … oder Janwe spielt mir einen bösen Streich …«
Erenwin musste schlucken. Was seine Schwester durchgemacht hatte, war vermutlich nicht zu erfassen. Es hatte sie beinahe zerbrochen … aber nicht völlig. Sie konnte sich wieder erholen, wenn sie in Sicherheit war, unter Jemumas Fürsorge, und Onkel Turéor würde ihr beistehen.
Behutsam legte er den Arm um sie und zog sie mit sich auf Dullo, der geduldig wartete. Turéor und Jemuma übernahmen den zweiten Seeschwärmer, der dritte würde ihnen von selbst folgen.
Dann spannte Erenwin die Beinmuskeln an, verlagerte sein Gewicht auf eine bestimmte Weise, und es ging los. Sie schwammen einen kurzen Bogen, um Höhe zu gewinnen, sodass Erenwin Janwes weißen Haarschopf inmitten der gerüsteten Soldaten erkennen konnte. Sie waren bereits außer Reichweite der Speere. Der Fürst reckte ihnen das Schwert entgegen und rief: »Ich kriege dich, Schlammkriecher, und werde dich eigenhändig langsam zu Tode foltern, das schwöre ich dir!«
Dann ging es auch schon hinaus in die Dunkelheit.
Erenwin hatte sich in der Jugend so manchen Dunkeldämmer hinausgeschlichen, um mit seinen Freunden verbotenerweise zu jagen. Es hatte ihm nie etwas ausgemacht, doch jetzt fühlte er sich aufgrund der grauen Schleier vor den Augen geradezu blind. Er konnte fast nichts mehr erkennen und musste sich auf den Seeschwärmer verlassen. Dass sie in die richtige Richtung tauchten, wusste er, sein Orientierungssinn funktionierte nach wie vor auch hier draußen. Doch diese Schlieren vor den Augen empfand er als weitaus schlimmer als die totale Finsternis, die er schon durchlebt hatte. Er wusste, dass er sich früher, mit seinen gesunden Augen ohne Schwierigkeiten zurechtgefunden und immer noch genug erkannt hätten, um sich ein Bild machen zu können.
Er durfte es niemandem sagen, wie hilflos er sich fühlte. Wenn es jetzt zum Kampf käme, wäre er völlig nutzlos.
Aber Dullo kannte den Weg nach Hause genauso gut, und er wusste, was sein Herr von ihm wollte. Er sauste mit kräftigen Schwingenschlägen durch die Dunkelheit, gefolgt von den anderen.
»Es wird alles gut«, murmelte Erenwin und wusste in diesem Moment nicht, wen er damit beruhigen wollte – sich oder seine Schwester, die ihre Arme um ihn geschlungen hatte.
»Ich wünschte, ich könnte dir glauben«, sagte sie dicht an seinem Ohr.
»Dein Geist ist zerrüttet und krank«, versetzte er besorgt. »Aber du bist von Janwe befreit, du musst einfach nur fest daran glauben! Es wird einen anderen Mann geben, der dich liebt und der fürsorglich ist.«
»Du bist immer noch auf der Suche nach Liebe? Gibst du denn nie auf?«
»Nein, niemals. Ich weiß, es existiert jemand für dich und für mich, wir werden unsere Gefährten finden. Unsere Gedanken waren bisher immer so eingeengt. Wir kannten nichts anderes als die Grenzen von Darystis und das Gefängnis von Karund. Doch es gibt so viel mehr … und das steht auch uns offen.«
»Aber wohin sollen wir schwimmen, Erenwin? Vater wird es nicht zulassen, dass ich Janwe
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