Nayidenmond (German Edition)
dich zu beherrschen und es nicht auszuspucken.“ Bevor Rouven entschieden hatte, ob das freundlich oder als Beleidigung gemeint war, spürte er bereits die Flüssigkeit an seinen spröden Lippen. Es schmeckte scheußlich, doch er war so durstig, dass er es regelrecht gierig schluckte. Das Wasser, das ihm danach angeboten wurde, nahm er allerdings wesentlich dankbarer an. Bleierne Müdigkeit fiel über ihn. Erschöpft wandte er den Kopf an den Bauch des Oshanta, der ihn noch immer festhielt, sog den Duft von warmer, männlicher Haut ein. Die Schmerzen verschwanden wie ein Schleier, der fortgezogen wurde. Rouven schloss die Augen, froh, so geborgen zu sein. Kurz bevor er einschlief, spürte er, dass Iyen ihm leicht über die Wangen streichelte und etwas flüsterte, das er zwar nicht verstand, aber beruhigend klang. Er lehnte sich an die Hand, die ihm Frieden brachte, und dann wusste er nichts mehr.
„Schlaf, ruh dich aus“, flüsterte Iyen. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen, er schmiegte sich in seine Handfläche hinein, so vertrauensvoll … Nichts war mehr von der Panik zu spüren, die Rouven eben noch überfallen hatte. Iyen wagte kaum zu atmen, um ihn nicht zu stören. Noch nie, nicht für einen einzigen Moment in seinem Leben, hatte er so etwas für einen anderen Menschen getan. Manchmal hatte er sich in seinen Träumen vorgestellt, wie es sein könnte, Liebe statt Tod zu schenken. Sanft über einen Körper zu streicheln, statt ihn zu schlagen. Diese Träume standen ihm, einem dreckigen Oshanta, einem widernatürlichem Gezücht nicht zu, er wusste es selbst. Wie er überhaupt noch fähig sein konnte, solche Träume zu hegen, sie jetzt tatsächlich auszuleben … Rasch verdrängte er Erinnerungen, die stets am Rand seines Bewusstseins lauerten, um ihn zu überfallen und zu quälen.
„Irgendetwas muss ich mit dir anstellen, Kleiner, nur was? Wenn ich dich nach Hause bringe, schickt man dir eben noch einmal eine Gruppe Oshanta, um das Werk zu vollenden.“
Obwohl – Iyen neigte den Kopf und dachte intensiv nach. Der Auftraggeber hatte einen sehr engen Zeitplan gesteckt und bestimmt, dass sie den Prinzen zurücklassen oder töten konnten, falls sie ihn nicht bis spätestens am zweiten Tag nach Vollmond an den Treffpunkt gebracht hatten, weil er dann wertlos für ihn sei.
Möglicherweise würde man dich also nicht mehr angreifen, wenn du nach dieser Frist plötzlich wieder auftauchst. Sicher ist es nicht, aber möglich.
Iyen hätte nur zu gerne gewusst, was das alles zu bedeuten hatte. Für gewöhnlich verbarg sich hinter den Aufträgen kein Mysterium. Gier, Habsucht, Hass, Rache oder Ehrgeiz, wenn jemand schneller an irgendeine Machtposition gelangen wollte – darauf waren letztendlich so gut wie alle Morde zurückzuführen.
Iyen schob den tief schlafenden jungen Mann von seinem Schoß herunter, zog ihm nach kurzem Zögern die zweite Kleidungsschicht aus. Er wollte zum Fluss hinunter und im Schutz des Dämmerlichts prüfen, ob Bero und Jarne vorbeigeritten waren. Seine helle Haut würde ihn verraten, er könnte nicht genügend Waffen mitnehmen und so verfroren sah Rouven auch nicht mehr aus. Ein letzter prüfender Blick, dann breitete er die zweite Decke über die regungslose schlanke Gestalt und huschte davon. Alles in ihm wehrte sich dagegen, den wehrlosen Jungen hier liegen zu lassen.
Bin ich wahnsinnig?, dachte er bestürzt. Verantwortung für einen Menschen zu übernehmen, das geht vielleicht noch, aber ihn so zu … Ja, was eigentlich? Mögen? Begehren? Beides war einem Oshanta verboten.
Vielleicht bevorzuge ich tatsächlich Männer? Begehren, das zumindest wäre ein kleineres Verbrechen als Zuneigung.
Er dachte darüber nach, ob er sich jemals zu einem seiner Kampfgefährten hingezogen gefühlt hatte und kam zu keinem Ergebnis. Wenn ja, hatte er das wohl unterdrückt, bevor es ihm bewusst werden konnte. Was auch besser war. Liebe zum eigenen Geschlecht brachte für gewöhnlich den Tod.
Vielleicht habe ich zu lange alles unterdrückt, was damit zusammenhängt und reagiere jetzt deshalb so heftig?
Iyen schüttelte sich kurz und beschloss, diese Gedanken auf später zu verschieben. Sie waren zu wichtig, um sie mit weniger als voller Aufmerksamkeit zu verfolgen.
Nachdem er sicher war, von niemandem beobachtet zu werden, überquerte er rasch den Fluss und untersuchte das jenseitige Ufer. Hier fand er eindeutige Spuren, dass vor wenigen Stunden drei Pferde vorbei gekommen waren,
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