Nayidenmond (German Edition)
Blick, alles an ihm drückte aus, was er nicht über die Lippen brachte, und Rouvens stilles Lächeln zeigte, dass er verstanden hatte.
In Jarne erwachte etwas, das er nicht kannte, aber sofort zuordnen konnte: Neid. Er beneidete Iyen glühend um das, was jedem anderen Oshanta verwehrt blieb. Gleichzeitig gab es keinen anderen Menschen auf dieser Welt, dem er es mehr gönnte.
Rouven Blicke hingen an Iyens Gesicht. Er konnte nichts tun oder auch nur denken. Er wollte etwas sagen, irgendetwas, und fand keine Worte. Iyen schenkte ihm ein Lächeln, das seinen gesamten Körper zu erfassen schien, ein Lächeln, in dem so viel Wärme und Liebe lag, dass der Kokon aus heiterer Ergebenheit in den Tod endgültig von ihm abfiel. Er wollte leben, um sein Leben kämpfen und alles tun, um Iyen nicht zu verlieren.
Iyen nickte ihm zu, konzentrierte sich wieder auf seine ehemaligen Kampfgefährten und auch Rouven kehrte zurück in Verteidigungsposition. Für diesen Moment hatte Meister Karm ihn sechs Jahre lang ausgebildet. Nun musste er beweisen, ob er so viel Mühe wert gewesen war. Er betrachtete seine Gegner.
Bero kämpfte voller Wut um seine Selbstbeherrschung und trat vor Iyen in Kampfstellung; Jarne hingegen trug einen seltsamen Ausdruck im Gesicht, der Rouven beunruhigte. Stille senkte sich über sie, als sie sich mit Blicken maßen.
„Ist alles gesagt worden, oder muss noch jemand ein Tränen rührendes Geständnis ablegen?“, zerstörte Bero schließlich diesen Moment friedlicher Feindseligkeit. Sechs Augenpaare schwenkten zu Rouven. Verbissen schüttelte er den Kopf und umfasste den Schwertgriff fester, so gut es ging mit vor Angst schwitzigen Händen.
Jarne würde ihn angreifen. Ausgerechnet Jarne! Es wäre zu viel gesagt, würde er behaupten, Jarne wäre ihm in den vergangenen vier Tagen nähergekommen; doch er hatte Vertrauen zu ihm gefasst, mochte ihn deutlich mehr als Bero, der ganz und gar das Bild des seelenlosen, grausamen Dämons verkörperte, als der jeder Oshanta verschrien war. Jarne besaß weder das Herz noch die Wärme, die Iyen von Anfang an ausgestrahlt hatte, aber zumindest wahrhaftige Ehre und einen Rest von Menschlichkeit. Bero hätte er vielleicht töten können, sollte sich diese Gelegenheit bieten. Jarne hingegen …
„Sei schnell“, wisperte Iyen so leise, dass Rouven es kaum hörte.
Und dann brach die Hölle los. Jarne stürzte sich auf ihn, mit einer wilden Attacke, die Rouven beinahe enthauptet hätte. So, als ob sein Gegner entschlossen war, ihn nicht unnötig leiden zu lassen. Rouvens jahrelang antrainierte Reflexe retteten ihn. Im allerletzten Moment parierte er, ohne auch nur bewusst gespürt zu haben, wie er das Schwert hochriss. Er stolperte unter der Wucht des Schlages zwei Schritte zurück, wehrte irgendwie die beiden nächsten Attacken ab, die Jarne in rascher Folge führte. Der Oshanta schien zu begreifen, dass er keinem wehrlosen Opfer gegenüberstand, das lediglich die Grundausbildung genossen hatte. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung – einen winzigen Moment lang war seine Verteidigung geschwächt. Rouvens Arm zuckte hoch. Er könnte Jarne töten, oder zumindest schwer verletzen. Mit einer fließenden Bewegung führte er seine Attacke und brach durch Jarnes Deckung.
Er konnte es nicht. Verhielt mitten im Schwung.
Der Moment verging.
Sein Gegner wich zurück, und der Tanz begann von vorn.
Jarne schlug zu, jedoch ohne die Kraft und tödliche Präzision wie zuvor. Sie umkreisten sich, lauerten auf die Reaktion des jeweils anderen. Dann riss Jarne wieder die Kontrolle über den Kampf an sich und deckte Rouven mit einer Serie blitzschneller Schläge ein, so rasch, dass er nur noch reagieren konnte. Genau wie Iyen einige Tage zuvor hatte Jarne offenbar erkannt, dass Rouven zwar sehr schnell, geschickt und ausdauernd war, doch weder über die Technik noch ausreichenden Willen verfügte, seinen Gegner zu vernichten.
Jarne trieb ihn vor sich her, es konnte nicht mehr lange dauern, bis er ihm einfach das Schwert aus der Hand schlug, zuerst ihn und dann Iyen tötete.
Das lasse ich nicht zu, dachte Rouven. Wut gab seinem erschöpften Körper neue Energie. Unversehens duckte er sich zusammen und taumelte in voller Absicht ein Stück zurück, als wäre er nicht mehr stark genug, um weiterzukämpfen. Jarne setzte ihm nach, hob mit einem traurigen Blick das Schwert. Rouven hatte bereits alles gesammelt, was in ihm steckte und führte die letzte Attacke, zu der er noch
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