Nayidenmond (German Edition)
fähig war. Er durchbrach Jarnes Deckung ein zweites Mal, zielte auf seine Brust – doch der Oshanta schaffte es, sich rasch seitlich zu drehen. Rouvens Klinge schrammte über seinen Oberkörper, fügte ihm eine heftig blutende Schnittwunde zu, die Jarne nicht genug verletzte, um ihn kampfunfähig zu machen. Rouven hatte sich für die Attacke nach vorne geworfen. Er stürzte auf die Knie, spürte ein Brennen am Arm. Nur einen Moment später stand Jarne hinter ihm, packte ihn gewaltsam an den Haaren, riss ihn zurück und setzte ihm das Schwert an die Kehle. Rouven hielt zwar noch seine eigene Waffe in der Hand, war aber nun wehr- und hilflos ausgeliefert.
Kurz verharrten sie beide schwer atmend, dann fauchte Rouven atemlos: „Nun mach schon! Bring mich um! Oder schlag mich nieder, wenn du deinen geheiligten Auftrag ausführen willst. Tu, was du willst, aber lass mich nicht warten!“
Jarne lachte leise, auf eine Art, die eisige Schauer über Rouvens Rücken jagte. Er hatte sich geirrt. Jarne hatte ihn getäuscht. Ihm war nur noch nicht klar, auf welche Weise.
Jarne spürte, wie die Wut des jungen Prinzen von Angst überlagert wurde. Er hatte ihn sofort töten wollen, um ihm unnötiges Leid zu ersparen – etwa, mit ansehen zu müssen, wie Iyen fiel. Dass der Kleine so gut mit dem Schwert umzugehen verstand, war beeindruckend. Die Verletzung, die er ihm zugefügt hatte, ging tief, er verlor zu viel Blut. Sollte Iyen überleben, könnte Jarne nicht gegen ihn antreten. Aber auch ohne weiteren Kampf war er geschwächt, er würde sich nur davon erholen, wenn Bero ihn pflegen würde. Jarne wollte lieber lebendig geröstet werden, als diesem Mann verpflichtet zu sein! Ein Seitenblick zu Bero und Iyen zeigte Jarne, wie sehr er sich beeilen musste. Noch waren die beiden Kämpfer einander ebenbürtig, trotz Iyens Erschöpfung. Dennoch, es konnte jetzt nicht mehr lange dauern, bis Iyen getötet würde, und das wollte er verhindern.
Zeit für die Abrechnung, dachte er, von seltsamer Leichtigkeit erfüllt.
„Lass das Schwert fallen“, befahl er Rouven, der augenblicklich gehorchte. Jarne stand auf und zog ihn mit sich auf die Füße, hielt ihm dabei weiterhin seine Klinge an die Kehle.
„Als ich sagte, dass ich Iyen ein Leben schulde, war ich ungenau“, flüsterte er Rouven zu. „Die Wahrheit ist, dass Iyen mich zweimal gerettet hat. Weißt du, warum wir die Ulaun-Perlen tragen?“
„Hm“, presste Rouven angestrengt hervor, was bejahend klang. Jarne ließ etwas lockerer, um ihm das Atmen zu erleichtern.
„Als Iyen offiziell in die Bruderschaft aufgenommen werden sollte, war es meine Aufgabe, ihm die letzte Perlenreihe in die Stirn zu setzen. Das ist schwierig, um die Augen herum verlaufen so viele Nerven … Wird bei dieser Zeremonie auch nur ein Laut ausgestoßen, oder irgendein Zeichen des Schmerzes gegeben, müssen beide sterben.“ Es gab immer einen älteren Oshanta, der dies alles überwachte. Jarne musste tief durchatmen, um noch aufrecht bleiben zu können. „Es ist fast unmöglich, nicht zu zucken, wenn ein Gesichtsnerv verletzt wird. Iyen hat es geschafft. Er kam in der Nacht zu mir und ließ mich zwei Perlen neu setzen, die ursprünglichen Stellen blieben unter dem Verband verborgen. Er muss stundenlang starke Schmerzen erduldet haben, um uns beiden das Leben zu retten. Gewiss, er hat dies nicht mir zuliebe getan. Trotzdem schulde ich ihm ein Leben.“
Rouven versuchte sich soweit zu drehen, dass er zu ihm aufblicken konnte, doch Jarne ließ es nicht zu.
„Du bist mir ziemlich gleichgültig, Prinz von Kyarvit. Ja, es wäre Verschwendung, dich zu töten, aber das ist es häufig und es würde mich keinen Herzschlag lang Schlaf kosten. Iyen hingegen ist mir nicht gleichgültig, und du gehörst nun mal zu ihm.“
Er ließ das Schwert fallen, drehte Rouven zu sich herum und zückte einen Dolch.
„Du hast gut gekämpft. Ein gewöhnlicher Mann wie du, der in einem ehrlichen Duell Blutzoll von einem Oshanta fordern kann, ohne selbst ernstlich verletzt zu werden, das ist keine Kleinigkeit. Du hättest nicht zögern sollen, als du die Möglichkeit hattest, mich zu töten!“ Gewaltsam zwang er den Dolchgriff zwischen Rouvens widerstrebende Finger, die Klinge auf sich selbst gerichtet.
„Iyen hat mir zwanzig Jahre geschenkt. Er hat mich zweimal gerettet. Sag ihm, dass die Schuld beglichen ist. Jegliche Schuld.“
Er lächelte finster. Dann riss er Rouven an sich heran. Der Dolch fuhr in seinen Leib.
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