Nayidenmond (German Edition)
über sie.
Als Jarne fast eingeschlafen war, hörte er Bero, der zu ihm herüber kroch, und wandte ihm den Kopf zu.
„Steigst du jetzt ebenfalls aus, so wie Iyen?“, zischte sein Kampfgefährte kaum hörbar. „Wirst du auch zum Verräter für ein paar seelenvolle Rehaugen und einen hübschen Arsch?“
Jarne ließ sich Zeit mit der Antwort. Einen Herzschlag lang überlegte er, wie es wäre, Rouven nicht dem Tod zu überlassen, das Morden aufzugeben, das ihn mittlerweile eher ermüdete als erregte wie früher. Er war über dreißig, sein Körper würde sowieso bald die beständige Überlastung nicht mehr ertragen … selten, dass ein Oshanta das vierte Lebensjahrzehnt erreichte. Es gab bereits deutliche Anzeichen: Seine Gelenke schmerzten, Kraft und Reflexe waren geringer als noch vor zehn Jahren, sein Augenlicht verschlechterte sich. Aber was sollte er dann tun? Er konnte nichts anderes als töten. Zwar würde er vielleicht in einem Söldnerheer unterkommen können, doch selbst unter diesen bezahlten Kriegern wäre er ein Ausgestoßener, gehasst und gefürchtet von jedem, der die Ulaun-Perlen in seinem Gesicht erblickte – und er würde wiederum nichts anderes tun als töten. Iyen mochte seine Bestimmung in diesem Mann gefunden haben. Für ihn, Jarne, gab es kein anderes Leben.
Er sah zu Bero auf, der ihn verächtlich musterte. Beherrscht schüttelte er den Kopf und sagte:
„Ein Oshanta dient nur dem Tod. Das Schicksal des Prinzen ist nicht das meine. Ob er lebt oder stirbt, geht mich nichts an. Ich werde versuchen, ihn lebendig an den Mann übergeben wird, der genau dafür bezahlt hat. Sonst nichts.“
„So sei es“, erwiderte Bero fast lautlos. Er betrachtete Rouven, der wie tot dalag und schlief. „Schade, dass du ihm versprochen hast, dass wir ihn nicht bespielen werden. Man sollte jede Gelegenheit nutzen, es könnte die Letzte sein …“
Iyen trat aus dem Wald heraus. Vor ihm lag der Eingang ins Nasha-Tal. Er war Tag und Nacht gelaufen, nahezu ohne Rast, mit lediglich immer mal zwei, drei Stunden Schlaf zwischendurch. Jarne und Bero hingegen mussten längere Pausen einlegen, um weder ihre Pferde noch den Gefangenen umzubringen und hatten diese Zeit gewiss zum Schlafen genutzt. Auf diese Weise hatte er sie sogar überholen können, aber der Preis, den er dafür zahlen musste, war hoch; er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Es hing nun wirklich alles davon ab, in welchem Zustand sich Rouven befinden würde … Sein Plan war, Bero mit einem Wurfdolch auszuschalten und Jarne zum Duell zu fordern, bevor der wieder Rouven als Schutzschild nutzen konnte. Der Überraschungsmoment, der ihm vor vier Tagen gefehlt hatte, war sein einziger Vorteil. Wenn er diese Gelegenheit vergab, konnte er nur versuchen, Rouven schnell und schmerzlos zu töten, um ihm alles weitere Leid zu ersparen.
Ungefragt erschienen Bilder vor seinen Augen, welche Qualen Rouven bereits in Beros und Jarnes Händen erlitten haben mochte. Dass er womöglich vergebens warten würde, weil die Oshanta zu dem Schluss gekommen waren, sich lieber ein weiteres Mal zu vergnügen als den Auftrag zu erfüllen, falls Rouven zu schwach für den langen Weg war.
Du hast es schon einmal überlebt. Wenn das hier gelingt, dann gebe Gott, dass du auch ein zweites Mal die Kraft dazu besitzt. Sei stark!
Iyen drängte alle Ängste beiseite und verbarg sich hinter einem Felsen. Das Warten musste er nutzen, um sich so gut wie nur möglich zu erholen.
13.
„Wenn du nicht bereit bist, deinen Feind zu töten, beginne keinen Kampf mit ihm, denn du weißt nicht, ob er ähnliche Skrupel kennt.“
Aus: „Die sieben Säulen des Krieges“, Urheber unbekannt
„Dort ist der Eingang ins Tal“, sagte Jarne und versuchte Rouven wachzurütteln, der schlaff in seinem Griff hing. Die letzten Tage und Nächte waren für sie alle sehr anstrengend gewesen; dass der junge Mann, der nicht dazu ausgebildet wurde, selbst unter extremsten Bedingungen zu funktionieren, sich nicht mehr aufrecht halten konnte, war nur allzu verständlich. Schon nach der ersten Nacht war es unnötig gewesen ihn zu fesseln, nicht ein einziges Mal hatte er versucht fortzulaufen. Aber auch Jarne und Bero waren erschöpft. Sie waren rechtzeitig gekommen, hätten sogar noch einige Stunden Zeit gehabt, ihre Aufgabe zu vollenden. Jetzt brauchten sie nichts weiter zu tun, als den Prinz in das Tal zu bringen und auf den Auftraggeber zu warten, der hoffentlich bald kommen würde;
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