Nazigold
drangsaliert
werden. So füllt er den Kübel mit Wasser, Putzmittel gibt es nicht, schleppt
den Eimer in eine Ecke seines Schlafsaals und beginnt, den Steinboden zu
kehren, zu schrubben und zu wischen. Niederknien kann er sich nicht. Seine
Wunde am Oberschenkel schmerzt noch zu sehr. Immer wieder streift er
gewohnheitsmäßig seinen linken Ärmel hoch, um zu sehen, wie spät es ist. Und
immer wieder muss er feststellen, dass er keine Uhr mehr hat. Ohne Uhr fühlt er
sich völlig hilflos, ausgeliefert.
Irgendwann hört er die Lagersirene. Abendappell. Nun gibt es fast
viertausend Internierte im Lager. Das heißt über dreihundert Neuzugänge.
Bis zur Räumung des Hofes lungert Gropper auf dem Platz herum. Er will
sich nicht auf die Bänke setzen, die im Geviert um den Exerzierplatz
aufgestellt sind. Da hocken schon so viele und erzählen sich ihre alten
Geschichten. Da will er sich nicht dazusetzen und sich ausfragen lassen, warum
er denn hier sei und in welcher Einheit er an der Front gewesen sei. Er hockt
sich lieber unter eine der Fichten, riecht ihren Harzgeruch, dröselt
herabgefallene Zapfen auf und schaut den dicken und dürren Männern zu, die
ungelenk auf dem Exerzierplatz mit einem Fußball herumbolzen.
Stunden später liegt er in seinen Kleidern auf dem Bett und grübelt.
Er kann nicht schlafen. Obwohl das Licht ausgeschaltet ist, ist es fast taghell
im Saal. Die Scheinwerfer, die die Mauer mit dem Stacheldraht anstrahlen,
werfen ihr Licht auch auf die Betten. Irgendwann schläft er dann doch ein.
Um sechs Uhr fünfzehn reißt ihn die Lagersirene aus dem Schlaf.
Noch benommen, will er automatisch auf seine Armbanduhr sehen. Sie ist weg. Man
hat sie mir gestohlen!, zuckt es durch sein Gehirn. Da erinnert er sich, dass
er sie gestern abliefern musste.
Im Waschraum reiht sich ein Waschbecken an das andere, und überall
drängeln die Männer. Gropper zieht sein Hemd und sein Unterhemd aus. Nur
eiskaltes Wasser fließt aus dem Hahn. Es gibt keine Seife. Auch keine Spiegel über
den Waschbecken. Man könnte sie zerschlagen und mit den Scherben alles Mögliche
anstellen. Mit seinem Hemd rubbelt er seinen Oberkörper trocken. Alles muss
sehr schnell gehen. Hinter ihm drängen schon die Nächsten, um an das
Waschbecken heranzukommen. Rasieren ist nicht. Wie alle anderen hat auch er
kein Rasierzeug bei sich. Klingen sind verboten. Zum Rasieren wäre auch gar
keine Zeit. Nach einer Viertelstunde müssen alle den Waschraum verlassen haben.
Im Anschluss an den Morgenappell und das Frühstück wird ihm bei der
Arbeitseinteilung befohlen, den Hof zu kehren und den Müll einzusammeln.
Stattdessen versucht er nochmals, in das Kommandantenhaus zu gelangen, wird am
Eingang jedoch wieder abgewiesen.
Als er sich gerade zum Gehen wendet, stürmt der stellvertretende
Kommandant auf ihn zu, schlägt wütend mit seiner Reitgerte durch die Luft und
schnauzt ihn an, was er sich denn erlaube, in der Gegend herumzuspazieren,
anstatt seine befohlene Arbeit zu erledigen. Als Strafe ordnet Haig an, dass
Gropper im hinteren Teil des Kasernengeländes beim Umbau der ehemaligen
Muliställe mitarbeiten soll.
Feigl hat ihm von den Mulis erzählt, von denen die Gebirgsjäger
unter Nafzigers Kommando Hunderte gehalten hatten. Mehrere von ihnen mussten
die Kisten und Säcke vom Forsthaus zum Steinriegel hinaufschleppen.
Als Gropper an der Baustelle eintrifft, werden die Betonböden der
Ställe mit Presslufthämmern aufgestemmt, dass es nur so staubt. Dann werden die
Schutthaufen mit Schubkarren weggefahren, neue Bretterböden eingelegt, die
Stallgatter abgerissen und Wände aus Holzspanplatten errichtet.
Man erklärt ihm, man müsse Platz schaffen für die Massen von Displaced Persons , die hier untergebracht werden sollen.
Alles ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen und Russland, aber auch Kriegsgefangene
und ehemalige KZ -Häftlinge, die nicht in ihre
Heimat zurückkehren können. Diese DP s, diese
heimatlosen Ausländer, werden hier nun vorübergehend einquartiert.
Ein Aufseher, ebenfalls ein Internierter, drückt Gropper eine Zange,
einen Hammer und eine Säge in die Hand und gibt ihm Anweisungen. Jetzt ist
Gropper Bauarbeiter geworden. Bald hat er große Blasen an den Händen. Sie
brennen teuflisch. Dazu schmerzt seine Wunde am Oberschenkel.
Auch der dicke, etwa gleichaltrige Mann, der mit ihm zusammen Nägel
aus den Bohlen zieht, gegen Balken hämmert und sie zersägt, hat große, feurige
Blasen an den Händen und zeigt sie
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