Nazigold
spitze
Gegenstände, nationalsozialistische Literatur, Abzeichen und Fahnen. Jeder Internierte darf sich innerhalb seines Blockbereiches frei
bewegen. Ab einundzwanzig Uhr müssen die Blockhöfe geräumt werden. Bis
einundzwanzig Uhr dreißig muss jeder Internierte seine Lagerstatt aufgesucht
haben. Das Licht muss um einundzwanzig Uhr dreißig gelöscht werden. Es ist
verboten, sich dem inneren Stacheldrahtzaun weniger als fünf Schritte zu
nähern. Bei Fluchtversuch wird scharf geschossen.
Er sieht hinauf zu den Posten auf den Wachttürmen. Sie tragen
Maschinenpistolen. Am Ende der Lagerordnung steht: Jeder
Versuch, mit der Außenwelt in Verbindung zu treten, ist strengstens untersagt.
Verdammt noch mal! Er muss doch Theres, Buchner und Maier darüber
informieren, dass man ihn hier gefangen hält! Sie müssen ihn herausholen. Vor
allem Theres mit ihren guten Verbindungen zu den Amerikanern kann das schaffen.
Er muss sofort zum Lagerkommandanten. Zumindest zu seinem Stellvertreter. Sie
müssen sie sofort anrufen. Sie muss doch wissen, wo er steckt.
Verflucht, wie komm ich hier raus?, fragt er sich.
Nafziger wurde schon nach zwei Tagen freigelassen, weil er den
Amerikanern die Verstecke auf dem Steinriegel zeigte. Gropper kann sich nicht
freikaufen. Er hat nichts. Und Buchner wurde durch Sattler ausgelöst. Nie würde
der Bürgermeister einen Finger rühren, um ihn herauszuholen. Sicher ist er
froh, dass er nun ausgeschaltet ist.
Zumindest werde ich, wenn ich nun hier bin, so schnell wie möglich
zur Lagerverwaltung gehen und mir die Entlassungsdaten von Feigl und Kilian
geben lassen, nimmt sich Gropper vor. Heute ist Dienstag. Heute arbeiten die
Büroangestellten nach den Feiertagen wieder. Ich muss eine schriftliche
Bestätigung darüber haben, wann die beiden entlassen wurden. Ich muss etwas
Amtliches in der Hand haben.
Die Lagersirene heult auf. Morgenappell.
Auf dem ehemaligen Exerzierplatz müssen sich alle Internierten
geordnet nach ihren Blocks in Fünferreihen aufstellen. Während der Zählung
schaut Gropper immer wieder hinauf zum Wetterstein und zum Karwendel. Weit
hinter den Kasernenmauern stehen die Felsenmassive, golden von der Morgensonne
beschienen. Noch nie ist er während seiner Zeit in Mittenwald auch nur am Fuß
dieser Gebirge gewandert. Doch jetzt, während die Zahlen hin- und herfliegen,
stellt er sich in seiner Phantasie eine solche Wanderung vor. Zwischen
Felsschluchten hindurch, über reißende Bäche hinweg, vorbei an scharfkantigen
Felsbrocken und über lockeres, gefährlich abrutschendes Geröll. Viel wilder und
aufregender und abenteuerlicher als sein kleiner Aufstieg zum Steinriegel.
Bis die über dreitausendsechshundert Inhaftierten durchgezählt sind,
ist über eine Stunde vergangen. Die Lageruhr am Kommandantenhaus ist vom
Appellplatz aus gut zu sehen. Am Ende der Zählung werden die Namen der Personen
aufgerufen, die heute entlassen werden.
»Alles Block- und Zellenleiter des Ortsgruppenleiters«, bemerkt
einer neben Gropper.
»Wir sind nicht dabei«, meint ein anderer verbittert.
Nach dem Appell eilen die Kolonnen zum Abholen des Frühstücks.
Während der Ausgabe hört Gropper andere Internierte von Läusen reden. Dabei
kratzen sie sich am Kopf und zwischen den Beinen.
Alle haben irgendeinen Topf in der Hand, ein Kochgeschirr, eine
Konservendose, einen Blechnapf. Gropper hat nichts. Als er an der Reihe ist,
drückt man ihm eine verbeulte Maisbüchse in die Hand und schüttet eine dunkle,
heiße Plörre hinein. Das soll Kaffee sein. Es riecht nicht einmal danach. Dazu
eine Scheibe Weißbrot.
Um die Flüssigkeit zu schlürfen und sein Brot zu kauen, setzt er
sich auf eine der Bänke neben der Ausgabe. Ein etwa gleichaltriger Mann in
Gebirgsjäger-Uniform lässt sich neben ihm nieder. »Auch 98er?«, fragt er.
Gropper verneint.
»Da haste was versäumt. Wenn wir Einsatz hatten, da flogen die
Späne.«
Bevor er weiter über seine Heldentaten erzählt, fragt Gropper ihn:
»Kennen Sie einen Anton Nafziger?«
»Na freilich«, legt der Mann begeistert los. »Der war doch mit uns
in Russland, im Kaukasus, in Serbien, Griechenland. Am Schluss wurde er hier
Kommandeur, als es noch die Jäger-Kaserne war. Ein prima Kerl! Er hat auch ein
Buch geschrieben über unsere Kampfzeit, hab ich gehört. Wenn ich draußen bin,
will ich das kaufen. Da steh ich bestimmt auch drin.« Der Gebirgsjäger kaut sein
Brot und nimmt einen großen Schluck von seiner Brühe. »Der Nafziger ist
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