Nazigold
so geht’s.«
Auch später, als Gropper mit seinen Eltern und seiner Schwester nach
dem Verlust des Hofes in die Judengasse umziehen musste, kam Strasser zur
Brotzeit zu ihnen in ihre kleine Kammer. Als das Walchenseekraftwerk in Betrieb
ging und sie zum ersten Mal elektrisches Licht hatten, sagte Strasser
respektvoll: »Gschichten san des. Gschichten. Ja, so geht’s.«
Als Groppers Vater starb und drei Jahre darauf die Mutter, sinnierte
er trübsinnig: »Gschichten san des. Gschichten. Ja, so geht’s.«
Dem Gendarm Gropper gegenüber ließ er beim Vespern hin und wieder
vertraulich durchblicken, wer diesen und jenen Ster Holz im Wald oder die
Bretter vom Sägewerk Schmauß oder das Pferd von der Koppel gestohlen haben
könnte. Seinen diskreten Hinweis schloss er stets mit der Bemerkung:
»Gschichten san des. Gschichten. Ja, so geht’s.«
Durch die Umbauten sind das Wohnhaus, die Ställe und die Remise des
früheren Bauernhofes nicht mehr zu erkennen. Bis 1923 hat er hier gelebt. Dann
kam die Inflation. Er war dreizehn. Von dem Erlös der Milch konnte sein Vater
nicht mal mehr den Diesel für seinen Traktor bezahlen, den er brauchte, um die
Milch an die Molkerei zu liefern. Wenn sie Schweine und Kälber an die Metzgerei
Gschwandtner verkauften, war das Geld innerhalb eines Tages nichts mehr wert.
Ihre Kartoffeln und ihr Obst nahm die Genossenschaft nicht mehr an, weil sich
der Verkauf nicht mehr rentierte. Die Mittenwalder holten sich die Erdäpfel
direkt vom Acker und schüttelten das Obst von den Bäumen. Oder es verfaulte als
Fallobst am Boden.
Sie mussten ihre sieben Kühe und die beiden Ochsen an einen
Viehhändler verkaufen und ihren Traktor an den Sägewerkbesitzer Schmauß. Sie
erhielten dafür zwei Tüten voller großer, aber wertloser Scheine.
Bei einem seiner Besuche sagte Strasser wieder einmal: »Gschichten
san des. Gschichten. Ja, so geht’s.«
Da fuhr Groppers Vater wütend auf: »So geht’s überhaupt net! Dea
Staat derf uns ois nehma, un mia müaßn uns des gfalln lassn. A Räuberei is
des an de kloane Leit. Mia saufn ab.«
Seine Eltern sagten zu den Hühnern: »Legt keine Eier mehr. Das lohnt
sich nicht.« Aber die Hühner gackerten nur und legten trotzdem weiter ihre
Eier.
Der Sägewerkbesitzer Schmauß spekulierte in günstigen Sachwerten und
kaufte ihre Äcker und Wiesen, ihre Ställe und ihr Wohnhaus. Sie bekamen dafür
einen Karton voller Geldscheine: alles Altpapier, alles Makulatur. Ihr Haus
baute Schmauß in ein Chalet mit breit ausladendem Dach um und ließ sich darin
nieder. Ihre Ställe wurden zu Lagerschuppen. Der Hof war weg, sie mussten
ausziehen und fanden die kleine Parterrewohnung in der Judengasse neben der
Kirche.
Das Sägewerk wurde im Laufe der Jahre immer größer. Am Mühlbach
errichtete man eine neue Hebeanlage, um die angetrifteten Baumstämme aus dem
Wasser zu holen. Man baute einen neuen Kran, um die Stämme auf das Förderband
zu legen, eine zweite Schälanlage und ein neues Vollgatter mit Einzugswalzen
und speziellen Sägeblättern.
Gropper riecht wieder den Duft der nassen Fichtenstämme, schnuppert
den Geruch der frisch gesägten, gestapelten Bretter. Diesen feuchtharzigen
Holzgeruch mochte er schon damals.
Er kann den Schuppen sehen, hinter dem er sich heimlich mit Wilma
getroffen hat, als sie neunzehn war und er zwanzig. Zwischen zwei Stapeln von
Kanthölzern haben sie sich geküsst und über ihre Zukunft gesprochen. Da schaute
plötzlich Korbis Vollmondgesicht um die Ecke und grinste feist. Da war es aus
mit der zärtlichen Tändelei. Korbi ergriff die Flucht und sprang wie ein
Ziegenbock quer über die Wiese, als Gropper auf ihn zuging, doch Wilma war
verstört und wollte nun schnell nach Hause. Gropper verfluchte diesen Kerl. Er
musste hinter ihnen hergeschlichen sein, ohne dass sie es bemerkt hatten. Zu
einem zweiten Rendezvous hinter dem Schuppen kam es nicht mehr.
Ein Haus steht immer noch so da wie 1933: das Haus, in das seine
Schwester Theres nach ihrer Hochzeit mit dem Platzmeister des Sägewerks
eingezogen ist. Ein unscheinbares Häuschen mit einem Stockwerk und steilem Giebeldach.
Die Fensterläden aus zusammengenagelten Brettern sehen noch genauso aus wie
damals. Und Theres wohnt immer noch hier, wenn auch ohne ihren Mann. Er wurde
1940 an der Westfront als vermisst gemeldet.
Theres hat Gropper erzählt, sie würde jetzt als Dolmetscherin für
die Amerikaner arbeiten und gut verdienen. Gleich nach seiner Rückkehr aus St. Gallen
im
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