Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kohl
Vom Netzwerk:
hören.
    Nach langer Zeit erhebt sich Kreszenz mühsam und schlurft zum
Wandkalender neben der Uhr. Auf dem »Juni«-Blatt steht in großen Buchstaben:
    Geh aus, mein Herz, und suche Freud
    In dieser lieben Sommerzeit
    An Deines Gottes Gaben.
    Schau an der schönen Gärten Zier
    Und siehe, wie sie Dir
    Sich ausgeschmücket haben.
    Sie reißt das Blatt mit einem Ruck herab, zerknüllt es und wirft
es auf den Boden.
    Zwei Männer in Rot-Kreuz-Jacken treten in die Küche.
    »Wir kommen vom Krankenhaus Walchensee«, sagt der eine. »Wir suchen
den Kommissar Gropper.«
    Gropper steht auf und zeigt seinen Ausweis. Kreszenz fängt an zu
schreien: »Nicht meine Rosi abholn!« Sie stürzt sich auf einen der Männer,
umklammert ihn verzweifelt. »Lasst mir meine Rosi!«
    Der Fahrer befreit sich sachte aus ihrer Umklammerung und übergibt
sie Gropper, der sie in den Arm nimmt und über ihr graues Haar streicht. »Ich
komm wieder«, sagt er leise.
    Dann geht er mit den beiden Männern hinaus. Mit seinem DKW fährt er am südlichen Ufer des Sees auf der
gefährlichen Piste langsam voraus, gefolgt vom Leichenwagen, der auf den
Abschrägungen Mühe hat, die Spur zu halten. An der Ostseite des Sees, kurz vor
dem Bootshaus, ist Strasser immer noch damit beschäftigt, den holprigen Feldweg
auszubessern. Als der schwarze Wagen an ihm vorbeifährt, zieht er seine Mütze
vom Kopf und bekreuzigt sich.
    Beim Bootshaus angekommen, holen die Männer einen kleinen grob
gezimmerten Holzsarg aus ihrem Wagen und laden ihn in den Kahn. Gropper rudert
sie hinüber zur Insel.
    Die beiden Rot-Kreuz-Männer ziehen sich weiße Gummihandschuhe an, heben
Rosis Leichnam auf ein Plastiktuch, vorsichtig darauf achtend, dass nicht ein
Arm oder ein Bein vom Körper abfällt, wickeln ihn ein und legen ihn in den
Holzsarg. Dann rudert Gropper die Männer mit dem Sarg zurück zum Bootshaus. Der
Sarg wird in den Wagen gehoben. Vom Krankenhaus Walchensee soll Rosis Leiche
nach München zur Obduktion gebracht werden.
    Auf der Rückfahrt zieht Strasser wieder seine Mütze vom Kopf,
bekreuzigt sich, lässt den Leichenwagen vorbeifahren und stellt sich dann
mitten auf den Feldweg, direkt vor den DKW .
    Gropper hält an und steigt aus.
    »Habts iha de Rosi gfundn?«, fragt Strasser aufgeregt.
    »Woher weißt du das?«
    »Weils doch scho seit oam Jahr verschwundn is. I woaß a, wea’s
war.«
    Gropper glaubt, nicht richtig gehört zu haben, doch Strasser nickt
eifrig.
    »Wer?«
    »So genau woaß i’s net, aba i woaß trotzdem. I hab’s
gsehng. Is aba scho a Jahr hea.«
    »Was hast du gesehen?«
    Strasser rückt seine alte Kordmütze zurecht, zeigt auf das Bootshaus
und berichtet, was er damals, am 29. April des vergangenen Jahres, erlebt
hat.
    Es war ein Sonntag, erinnert er sich, er hat aber trotzdem
gearbeitet, weil man für die nächsten Tage sehr schlechtes Wetter und einen
Temperatursturz mit Schnee vorausgesagt hatte. Damit es nicht noch schlimmer
würde mit der Straße, wollte er vorher noch ein paar Schäden ausbessern und
füllte ganz in der Nähe des Bootshauses auf dem Feldweg Kies auf, als er seine
Beobachtung machte. Um neuen Kies in seine Schubkarre zu schaufeln, schob er
seine Karre zum Kieskasten, der sich etwas abseits vom Feldweg in einem Gebüsch
befand. Gerade wollte er den Schlüssel für den Kastenriegel hinter dem Depot
hervorholen, da kam schnell, viel zu schnell ein BMW vorbeigefahren. Strasser stutzte, denn so schnell hatte er hier noch nie ein
Auto fahren sehen. Auf dem Rücksitz schlug ein Kind mit den Fäusten gegen die
Scheiben. Strasser duckte sich hinter seinem Kieskasten nieder, um nicht
gesehen zu werden.
    Der BMW hielt vor dem Bootshaus. Ein
großer Mann in einer Uniform stieg aus und zerrte das Kind aus dem Auto. Es war
die kleine Rosi. Er hat die Rosi sofort erkannt. Er kannte sie ja schon seit ihrer
Geburt ’33. Die Rosi wehrte sich heftig, schlug um sich und schrie
fürchterlich. Doch der Mann zog sie in das Bootshaus, und dann war es still.
Strasser wagte nicht, aus seinem Versteck hervorzukommen. Er hatte Angst vor
dem Mann. Er war zu feige, das gesteht er Gropper nun voller Reue ein.
    Bald darauf schleifte der Mann einen schweren Sack zum Kahn, warf
den Sack hinein und ruderte damit auf den See hinaus. Weit draußen warf er ihn
dann ins Wasser. Und das am helllichten Tag! Der Sack ist sofort versunken.
    Als der Mann in der Uniform zurückkehrte, holte er aus seinem
Kofferraum einen Armvoll Kleider, ging damit ins

Weitere Kostenlose Bücher