Nazigold
etwas heller als die Wand daneben. Hier hing früher das Hitler-Bild.
Nach langem Schweigen fragt Kreszenz: »Magst ’n Kaffee?«
Er nickt. Sie holt ein Haferl und eine Bahlsenkeksdose aus dem
Küchenkasten, löffelt aus der Blechdose braunes Pulver in das Haferl, öffnet
den Zinkdeckel des Wassergrantls, gießt mit einem Schöpfer heißes Wasser auf
das Pulver, verrührt es und stellt ihm das Haferl auf den Tisch.
»Malzkaffee. Wir habn nichts anders.«
Gropper erinnert sich an seinen letzten Besuch hier, als Gendarm, im
Frühjahr ’39. Xaver war da schon bei den Gebirgsjägern, führte aber sein
Amt als Oberförster weiter, das er 1933 von seinem Vater übernommen hatte, weil
dieser wegen »politischer Unzuverlässigkeit« entlassen worden war. In seinem
Forst waren damals wieder einmal ein paar Ster Langholz verschwunden. Im nassen
Waldboden erkannte man noch die Reifenspuren eines Kleintransporters. Aber vom
Dieb keine Spur. Irgendwie hatte Gropper damals den Verdacht, dass nicht ein
Fremder, sondern Xaver selbst das Holz hatte verschwinden lassen, um an den
Schadensersatz ranzukommen. Auffallend war nämlich, dass die Abdrücke dem
Profil der Reifen entsprachen, die Xaver an seinem Waldfahrzeug hatte.
Andererseits stand auch ein Mitarbeiter des Sägewerks Schmauß in Verdacht. Der
hatte an seinem Schlepper dasselbe Reifenprofil. Und der konnte das Langholz
gut gebrauchen. Vielleicht war es zwischen den beiden aber auch eine abgemachte
Sache. Jedenfalls wurden die wiederholten Diebstähle nie aufgedeckt.
Damals, im Frühjahr ’39, saß noch die kleine Rosi mit ihnen am
Küchentisch. Sie war gerade in die erste Klasse gekommen und malte das Alphabet
in ihr buntes Schreibheft.
»Wie geht’s dir?«, fragt Kreszenz. »Was hast du gmacht, als du weg
warst? Wie geht’s Luise?«
Er erzählt über die Zeit in St. Gallen, wo Luise in einem
Hospital als Krankenschwester arbeitete und er als Krankenwagenfahrer, weil für
ihn als Ausländer keine andere Arbeit möglich war. Er erzählt, dass sie nach
Kriegsende nach Gauting zurückkehrten, Luise dort in einem Lungensanatorium
eine Anstellung fand und er nun bei der Kriminalpolizei in München als
Kommissar arbeitet.
Plötzlich sieht Kreszenz ihm direkt ins Gesicht. »Bist du deshalb
hier? Wegen Rosi?«
Jetzt ist es unausweichlich.
Gropper greift in seine Tasche und legt das kleine verrostete Kreuz
an dem geschwärzten Kettchen vor sie auf den Tisch. Kreszenz erstarrt, wird
totenblass. Es dauert eine Weile, bis sie sich wieder bewegen kann. Sie will
danach greifen, stockt aber in ihrer Bewegung, will den Namen ihrer Tochter
herausschreien, schafft aber nur »Ro…«. Das Wort bricht ihr auseinander.
»Gehört das Rosi?«, fragt Gropper leise.
Langsam, ganz langsam und vorsichtig nimmt sie das Kettchen mit dem
Kreuz in die Hand und streicht mit den Fingern darüber.
Nun wagt Gropper den Satz: »Wir haben sie gefunden. Am Ufer auf
Sassau. Angeschwemmt.«
Die Kreszenz fällt in sich zusammen. Mit einem Schlag ist sie noch
älter geworden. Wie leblos sitzt sie da. Ihre Arme gleiten vom Tisch herab,
hängen neben ihr, als würden sie nicht mehr zu ihr gehören. Gropper hat Angst,
dass sie vom Stuhl kippt, und macht sich bereit, sie aufzufangen.
Doch sie hockt weiter da, ein Häufchen Elend. Sie wimmert, würgt ein
zerhacktes Schluchzen heraus, schleudert plötzlich den Kopf hoch, reißt ihn in
den Nacken und stößt einen gellenden Schrei aus. Sie heult auf wie ein Tier, so
herzzerreißend, dass es Gropper schaudert. Es wirft sie auf dem Stuhl hin und
her. Sie schreit, brüllt heiser: »Du verfluchter Herrgott! Du Dreckskerl im
Himmel! Hast mir meine Rosi gnommen! Warum? Gib mir meine Rosi wieder! Du musst
mir meine Rosi wiedergebn, du verfluchter Hund!«
Gropper hat Angst um sie, befürchtet, sie könnte aufspringen, nach
dem scharfen Fleischmesser auf dem Tisch greifen und sich die Gurgel
durchschneiden. Aber sie bleibt sitzen, stützt ihr Gesicht in ihre knochigen
Hände und weint stöhnend, stoßweise. Es ist ein trockenes, schmerzhaftes
Weinen.
Langsam verebbt ihr Schluchzen. Sie schaut wieder auf das Kettchen
mit dem Kreuz, nimmt es in ihre Hand, ballt sie zur Faust und presst darin den
Rest ihrer Rosi so fest zusammen, dass ihre Knöchel weiß werden.
»Jetzt wartet nur noch der Sarg auf mich. Ich möcht nebn der Rosi
begrabn werdn«, sagt sie bitter.
Dann ist es still in der Küche. Nur das gemächliche Ticken der alten
Pendeluhr ist zu
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