Nazigold
beängstigend schwankt. Vor
ihm ist zu beiden Seiten nur ein Fußbreit Platz.
In dieser Bücherschlucht kann er sich nur vorsichtig
vorwärtsbewegen, um die Stapel nicht einstürzen zu lassen. Dabei muss er über
Stöße vom »Völkischen Beobachter« und »Stürmer« steigen. In dem Kabuff riecht
es muffig nach altem Staub. Es ist wohl jahrelang nicht mehr gelüftet worden.
Ganz hinten am Ende des Ganges hockt Eckstaller an seinem
Schreibtisch. Dass es ein Schreibtisch ist, kann man nicht sehen, nur ahnen.
Das Möbelstück ist ummauert und völlig zugedeckt von aufgeschichteten
Folianten, brüchigen Ledereinbänden, Zeitschriften und Sammelausgaben in
Pappeschubern. Er schaut nicht auf, nachdem sich Gropper zu ihm durchgezwängt
hat, sondern kritzelt weiter in langen Listen, radiert aus, schreibt Neues
darüber, radiert wieder und überschreibt abermals die verschmierten Zeilen. Er
bemerkt gar nicht, dass ein Kunde vor ihm steht. Erst als Gropper ihn
anspricht, schaut er geistesabwesend kurz auf und wendet sich gleich darauf
wieder seiner Liste zu, auf der er weiter in den Zeilen herumkrakelt.
Gropper ist froh, dass Eckstaller ihn nicht wiedererkennt. Er hat
keine Lust, auch ihm zu erklären, wo er in den vergangenen Jahren war, und
tappt lieber über eine Art Hühnersteige zum oberen Stockwerk hoch. Auch dieses
Treppchen ist zu beiden Seiten vollgepackt mit Büchern. Er hat ein wenig Angst,
dass die dünnen Bretter nicht auch noch ihn tragen können und das gesamte
Lattengestänge mit ihm unter der Papierlast zusammenbrechen könnte.
Schon auf halber Treppenhöhe kann er in den vollgestopften oberen
Raum sehen. Unmöglich auch hier, irgendetwas Bestimmtes zu finden. Behutsam
tastet er sich auf den knarrenden Brettern rückwärts wieder hinab. Unten
angekommen steht unerwartet Eckstaller neben ihm und hält einen Stapel von
Hitlers »Mein Kampf« in der Hand, weiß offenbar nicht, wo er ihn ablegen kann.
»Der letzte Rest«, brabbelt er vor sich hin. »Der letzte Rest.«
»Hatten Sie noch mehr davon?«, fragt Gropper.
»Massen. Massen«, nuschelt Eckstaller. »Haben alles die Amis
gekauft. Die sind ganz wild drauf. ›Buks of Fuhrer? Buks of Fuhrer?‹« Ratlos
sieht er sich um und packt Hitlers »Kampf« schließlich auf den Boden, neben den
Spirituskocher, auf dem über einer Flamme ein Haferl Wasser kocht. Als Gropper
sich bückt, um ein Exemplar anzusehen, kreischt Eckstaller: »Schmeißen Sie
nicht den Brenner um! Sonst ist mein Laden ein Aschenhaufen.«
Erschrocken über seinen plötzlichen Ausbruch fragt Gropper: »Was
haben Sie denn sonst noch von dieser Art?«
»Weiß ich nicht«, brummelt er. »Ich lese keine Bücher.«
»Als Antiquar lesen Sie keine Bücher?«
»Ich hab nie eines gelesen.«
»Dann wissen Sie gar nicht, was Sie hier haben?«
»Keinen Schimmer, was da alles dabei ist.« Eckstaller kann nicht
verstehen, dass sich Gropper darüber wundert.
Auch im Keller liegen die Bücher auf dem Betonboden hoch
aufgestapelt, sodass Gropper den Kopf schief halten muss, um die Titel auf den
Buchrücken lesen zu können. Er entdeckt Joseph Goebbels’ »Michael. Ein
deutsches Schicksal in Tagebuchblättern«, Guntram Hertls »Die Mittenwalder
Jager – Erlebnisse, Kämpfe, Auszeichnungen« und von anderen Autoren »Unser
schönes Mittenwald – Ein Bildband«, »Glück im Werdenfelser Land. Liebesroman«
und »Olympiade 1936«.
In einem der Stapel fällt ihm ein Buch in einem gelblichen
Pappeumschlag auf, das schief herausragt. Behutsam rüttelt er den Band heraus,
während er mit der anderen Hand die Aufschichtung vor dem Einsturz sichert. Nun
kann er den Titel lesen: »Unser Kampf – Gebirgsjäger im Einsatz. Ein
Erlebnisbericht von Oberst Anton Nafziger, Kommandeur der Jägerkaserne
Mittenwald«.
Gropper schlägt die erste Seite auf. Von einem Foto lacht ihm
Nafziger entgegen, die Schirmmütze keck auf den Kopf gesetzt. Wer ihn nicht
kannte, könnte beim Betrachten des fröhlichen, optimistischen Gesichtes auf dem
Foto denken: ein lebensfroher, gewinnender, sympathischer Kerl.
Erschienen ist das Buch 1944 im Heimat-Verlag Mittenwald. Neben dem
Foto ist, auf zwei Seiten verteilt, Nafzigers Berufsweg abgedruckt.
Anton Nafziger, Oberst.
Geboren 1910 in Mittenwald.
1937, aus ärmlicher Familie stammend, als Freiwilliger
Eintritt bei den Gebirgsjägern. Beginn seiner
Soldatenlaufbahn in der 6. Kp. des II . Batl. im Geb.-Jäg.-Rgt. 98.
1938 Einmarsch in Österreich und
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