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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kohl
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besten, wenn er sich an einen ruhigen Ort zurückzieht, wo er
seine Grübeleien abstreifen kann. Einen Ort, an dem er etwas ganz anderes sieht
und seine Blicke ziellos schweifen lassen kann. So entschließt er sich, an die
Isar zu fahren.
    Nachdem er die ehemalige Kaserne passiert hat, biegt er vor
Mittenwald in einen Feldweg ein, der direkt zum Fluss führt. Er lässt den Wagen
stehen und geht die wenigen Meter zum flachen Ufer. Überall auf dem
angeschwemmten weißen Kiesgeröll liegen verrottete Baumstämme und dicke Äste,
die frühere Hochwasser angespült haben. Von einem der Äste fliegt ein
Fischreiher hoch. Er lässt sich auf einem großen, von der Sonne gewärmten Stein
nieder und schaut auf die Isar. Das schnell fließende Wasser glänzt im
Sonnenlicht und schäumt, wo es auf kleine Felsinseln trifft.
    Gropper muss an die Holzflößer denken, die hier früher mit ihren
langen Stangen und Haken geschickt die sperrigen Flöße um die Hindernisse
bugsierten. Da hat er oft am Ufer gestanden und bewundernd zugeschaut, wenn die
schwimmenden Baumstämme zum Sägewerk Schmauß getriftet wurden.
    Das Wasser sprudelt, quirlt und wirbelt, weiß und grün und auch
grau. Die Stille am Ufer tut ihm gut. Er spürt, wie er zur Ruhe kommt. Und
trotzdem muss er immer wieder an Rosi denken, wie sie da am Ufer lag, bedeckt
mit wimmelnden Maden. Wie Blitzlichter tauchen immer wieder diese ekelhaften
Bilder auf. Es schüttelt ihn.
    Plötzlich kann er nicht mehr ruhig sitzen. Er muss sich bewegen. Er
muss etwas tun.
    Gropper geht zurück zum Wagen. Obwohl er außer einem kleinen
Frühstück in einer Bäckerei heute noch nichts gegessen hat, hat er keinen
Hunger. Trotzdem, er muss eine Kleinigkeit zu sich nehmen.
    Im Ort hält er an einer Wirtschaft an, vor der man im Freien
einfache Gartentische und Stühle aufgestellt hat. Er bestellt eine Steirische
Kürbissuppe und zwei Brezen, dazu ein helles Bier. Die etwa dreißigjährige
Kellnerin sieht ihn etwas merkwürdig an, nickt und geht.
    Als sie ihm seine Bestellung bringt, blickt sie ihm ins Gesicht.
»Sind Sie der Gropper Martin?«
    »Sie kennen mich?«, fragt er erstaunt.
    »Kennen Sie mich denn nicht mehr?«
    Gropper bedauert. Er kann sich nicht an diese hübsche dunkelhaarige
Frau erinnern.
    »Das wundert mich nicht. Ist ja schon lange her. Aber ich hab Sie
sofort wiedererkannt.«
    »Wo haben wir uns denn getroffen?«
    »Im Fremdenverkehrsamt, lange vor dem Krieg, als Sie immer die
Prospekte zum Verteilen abgeholt haben. Sie waren damals mit Wilma Gschwandtner
befreundet. Wir haben zusammen in der Touristeninformation gearbeitet.«
    Jetzt schrillen bei ihm alle Glocken.
    »Sie kennen Wilma?«
    »Natürlich. Wir haben auch nach dem Krieg wieder zusammen
gearbeitet. Hier im ›Beisel‹ als Kellnerin. Bis zum Sommer vergangenes Jahr.
Dann war sie weg.«
    »Sie wohnt also noch in Mittenwald?« Gropper hat Mühe, seine
Aufregung zu unterdrücken.
    »Ich hab sie in der vergangenen Woche am Unter Markt gesehen.«
    Gropper bietet ihr den Platz auf dem Gartenstuhl neben ihm an.
    »Ich darf mich im Dienst nicht setzen.«
    »Was sagte sie?«, fragt er.
    »Wir haben nicht miteinander gesprochen. Sie war auf der anderen
Straßenseite. Haben Sie sie denn noch nicht besucht?«
    »Ich weiß nicht, wo sie wohnt. Haben Sie ihre Adresse?«
    »Nein, die hab ich auch nicht. Keine Ahnung.«
    Da wird sie von anderen Gästen gerufen.
    »Ich muss weitermachen. Wenn Sie sie sehen, grüßen Sie sie von ihrer
alten Kollegin.« Sie eilt zu den Gästen hinüber und nimmt deren Bestellung auf.
    Wilma ist also doch hier, hämmert es in Groppers Kopf. Und Theres
behauptete, sie sei weg. Dabei muss sie doch wissen, dass Wilma noch in
Mittenwald ist. Sie ist schließlich auch mit ihr befreundet. Warum sagt sie mir
nicht die Wahrheit?, grübelt Gropper, während er seine erkaltete Kürbissuppe
löffelt.

8
    »Ihr Alpenleit, nehmts eich in acht,
daß ihr nicht Hokuspokus macht; denn nach dieser kurzen Zeit folgt eine
lange Ewigkeit.«
    Schriftzug unter einer alten Lüftlmalerei.
    Am nächsten Morgen kommt Gropper auf dem Weg von seiner Pension
zum Revier wieder am Antiquariat Eckstaller vorbei. Diesmal wagt er es, die
dunkle Bücherhöhle zu betreten. Immer noch bimmelt beim Eintreten das
Ziegenglöckchen, das von der oberen Türkante angestoßen wird. Um die Ladentür
hinter sich schließen zu können, muss sich Gropper an einen Bücherturm drücken,
der weit über seinen Kopf hinaufragt und hinter ihm

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