Nea - James erzaehlt
auf vereinzelte Eckläden und Restaurants bekannter Ketten war es beinahe, als wäre hier die Zeit stehengeblieben.
Alles strahlte auf mich eine Mischung aus Idylle und Tristesse aus. Einerseits mochte ich, dass es hier so abgelegen und ruhig war, andererseits bedrückte mich die offensichtliche Tatsache, dass die Stadt ihre beste Zeit nach dem letzten industriellen Boom in den 1970ern schon lange hinter sich hatte. Zwar war nichts hier so heruntergekommen wie in manchen anderen Teilen Englands, aber man sah Ripley zweifelsohne eine bewegte Geschichte an.
Vermutlich empfand ich so merkwürdig melancholisch, weil ich in einem ähnlichen Umfeld aufgewachsen war – es war fast wie zuhause. Außer Frage stand jedenfalls, dass Ripley ein zumindest ungewöhnlicher Ort für eine SM-Session war.
Ich sah Leiko sofort, als ich das Café betrat, in dem wir uns verabredet hatten. Sie war komplett in Schwarz gekleidet und hatte die Kapuze ihrer Jacke bis in die Stirn gezogen. Gedankenverloren saß sie auf einer Eckbank und hielt eine große Tasse zwischen beiden Händen. Alles an ihr sah aus, als wolle sie in Ruhe gelassen werden.
„Ich hoffe, du wartest noch nicht zu lange“, sagte ich, als ich mich setzte.
Sie zuckte leicht zusammen. „Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe eigentlich nicht damit gerechnet, dass du jetzt schon hier bist.“
„Soll ich später wiederkommen?“, fragte ich mit scherzhaftem Ton.
„Erstens: Du bist zu höflich, aber das hatten wir ja schon. Zweitens: Bitte bleib’! Mein Kaffee ist nicht gerade spannende Gesellschaft – aber außer Kaffee gibt es ja nichts in diesem gottverlassenen Kaff hier.“
„Du könntest Cricket spielen, ich bin gerade an einem Park vorbeigekommen“, sagte ich und grinste, als Leiko abfällig die Lippen schürzte. „Übrigens bin ich in so einem gottverlassenen Kaff wie diesem hier aufgewachsen.“
„Das tut mir leid für dich“, sagte Leiko und nippte an ihrem Getränk.
Ich musste lachen. „Braucht es nicht. Aber ich weiß genau, was du meinst. Es ist eben recht ruhig in solchen Kleinstädten.“
Grimmig sah sie mich an. „Es gibt ruhig und es gibt einsam – und dann gibt es das hier.“
In diesem Moment tauchte eine Kellnerin neben mir auf und servierte mir ungefragt ebenfalls einen schwarzen Kaffee.
Leiko deutete auf die Tasse. „Ich dachte mir, dass du auch einen willst.“
Dankbar nickte ich. „Darf ich fragen, woher du eigentlich kommst?“
„Aus Tokio. Vielleicht finde ich es auch deswegen so erdrückend ruhig hier.“
„Was machst du dann in England?“, fragte ich.
„Du immer mit deinen Fragen.“ Leiko zwinkerte, dann fuhr sie fort: „Ich gehe dahin, wo die interessantesten Angebote sind – und das Nea ist eben mehr als nur interessant. Außerdem ist es in Richtung Norden ja ganz hübsch.“
Um nicht zu neugierig zu wirken, blieb ich eine Weile lang ruhig. Dann konnte ich mich allerdings nicht mehr beherrschen. „Und was machen wir heute hier?“
Zum ersten Mal grinste Leiko gelöst. „Da hast du deine Neugier ja lange in Zaum gehalten.“ Sie nahm noch einen großen Schluck Kaffee. „Wir haben eine Session.“
Kurz blickte sie mich völlig unbewegt an, dann lachte sie so laut, dass sie sich ihre Hand vor den Mund schlug.
Erleichtert ließ ich mich in den Stuhl sinken. „Ich dachte ernsthaft, das war alles, was ich aus dir herausbekomme.“
„Sorry, das musste einfach sein.“ Kichernd hob sie die Kapuze von ihren glatten, dunklen Haaren und sah sofort offener aus. „Der Mann, der mich bestellt hat, heißt William McGraft und ist-“
„Der Mann?“, unterbrach ich sie.
„Ja. Problem damit?“
„Nein, also- Nein. Es ist nur- Ungewohnt.“ Bisher hatte ich nur Frauen dominiert, ein Mann war absolutes Neuland für mich. Natürlich hatte ich bereits gemeinsam mit anderen Männern Sessions abgehalten – aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt war ich noch neugieriger als zuvor.
„Ungewohnt ist gut“, merkte Leiko trocken an. „Jedenfalls ist er so eine Art halbwichtiger Industrieller, wenn ich es richtig verstanden habe. Ehrlich gesagt habe ich nicht wirklich zugehört, als er einmal davon erzählt hat und es interessiert mich auch nicht sonderlich. Wir kennen uns schon ein paar Jahre und treffen uns, wenn sich die Gelegenheit bietet – was eher selten der Fall ist, denn wir sind beide viel unterwegs. Er steht auf sehr hartes Zeug. Problem damit?“
„Du fragst mich das wie bei einem Verhör“, sagte
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