Neal Asher - Skinner-Der blaue Tod
waren es, und so viele Jahren vergingen dabei! Keech hätte am liebsten geweint; er spürte, wie der Schaltkreis ansprang, der den Augenbefeuchter steuerte, und dann wieder ausging. Die ganzen Jahre speicherten sich weiterhin in sein neuerlich repariertes und aktiviertes Gehirn.
In der Dunkelheit verfolgte Windtäuscher, wie Ambel unsicheren Schrittes seine Kabine verließ. Außer dem Steuermann Boris waren alle unter Deck. Ambel trat an Windtäuschers Futterfass, holte methodisch ein Steak nach dem anderen heraus und mampfte es. Das Segel überlegte, ob es sich beschweren sollte, entschied jedoch dagegen. Es sah einfach zu, wie Boris den Kapitän entdeckte, mit einer am Gürtel hängenden Laterne von der Vorderkabine herabstieg und zu ihm hinüberging.
»Geht es jetzt besser, Käpten?«, fragte Boris.
Ambel wischte sich Purpurblut von den Lippen, ehe er antwortete: »Schlimme Erinnerungen«, sagte er.
»Passiert manchmal. Bin vor etwa zwanzig Jahren mit einer Pistole angeschossen worden. Die Wunde war nach ’nem Tag verheilt, aber noch monatelang ging es mir scheußlich.«
Ambel sah ihn einfach nur an und wartete darauf, dass er weiterredete – was er tat.
»Es lag daran, dass meine erste Frau es war, die mich niedergeschossen hatte, weißt du.«
Ambel nickte. »Du weißt das alles noch?«, fragte er.
»Größtenteils«, antwortete Boris.
»Ich nicht. Mir fehlt schon ein Stück, seit du geboren wurdest, und ich möchte es nicht zurückhaben. Ich weiß, worum es geht, aber ich mag einfach nicht dran denken.« Ambel nahm Boris genau in Augenschein. »Da sind allerdings Bruchstücke. Sie melden sich immer wieder.«
»Wie hast du es verloren?«, fragte Boris.
»Im Meer, Boris. Ich habe es im Meer verloren.«
Windtäuscher blinzelte und blieb mucksmäuschenstill. Anders als die meisten Gespräche unter Menschen kapierte er dieses überhaupt nicht. Er erkannte den Ausdruck ungläubigen Entsetzens im Gesicht des Steuermanns und begriff, dass der Mann nicht gezittert hatte, weil ihm kalt gewesen wäre. Aber darüber hinaus …
Nach langem Schweigen sagte Ambel: »Morgen früh erreichen wir die Atolle und raffinieren uns Sprine. Damit befreie ich mich von einem dieser Stücke. Wird Zeit, dass der Skinner ein für alle Mal in seiner Kiste verschwindet.« Er holte ein weiteres Steak aus dem Fass und machte sich daran, es zu verspeisen.
»Du hättest das schon vor langer Zeit erledigen sollen. Weiß gar nicht, wieso du es nicht getan hast. Weißt du, dass er nachts flüstert?«, fragte Boris.
»Ich weiß. Vor allem macht er es mit Peck. Macht ihn damit ganz nervös.«
»Dafür braucht es nicht viel.«
»Yeah.«
Sie musterten einander wissend; dann nickte Boris und wandte sich zum Gehen, und die Laterne schwankte in der Nacht. Ihr Licht glitzerte in den offenen Augen Windtäuschers, als das Segel zusah, wie Ambel an die Reling trat.
»Worum ging es da eigentlich?«, fragte es über den Verstärker.
»Gedächtnisverlust durch starken Schmerz«, antwortete der Hüter.
»Oh, da bin ich aber froh, dass ich gefragt habe«, versetzte Windtäuscher.
»Interessant, dass du dich für dieses Schiff entschieden hast«, erklärte der Hüter dem Segel. »Warum eigentlich?«
»Es war zufällig in der Gegend«, antwortete Windtäuscher. »Und du wolltest ja, dass ich hier nach Ungewöhnlichem Ausschau halte.«
»Und was hast du entdeckt?«, erkundigte sich der Hüter.
Windtäuscher war auf Grund seiner langen Vertrautheit mit menschlicher Sprache nicht immun gegen Sarkasmus. »Na ja, ich habe das Schiff gefunden, das Jay Hoop an Bord hat, und ich habe einen Zahnkarpfen mit einem großen Klumpen Metallschrott im Bauch gefunden.«
»Das habe ich gehört!«, warf Sniper ein.
»Ja, ich weiß, dass du hier bist«, sagte der Hüter. »Geht es diesem Karpfen gut?«
»Ich denke, er hat vielleicht eine kleine Magenverstimmung. Hat vermutlich was gefressen, was er nicht verträgt, und damit meine ich nicht mich«, antwortete die Kriegsdrohne.
Der Hüter schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Du, Sniper, bleibst bei diesem Schiff und passt auf. Sobald du frei bist, habe ich vielleicht weitere Anweisungen für dich. Du, Windtäuscher, verlässt das Schiff morgen früh und fliegst zu Olian Tays Insel. Bis dahin wird Kapitän Sprages Schiff eingetroffen sein. Du schließt dich ihm an und hältst die Augen offen. Ich möchte fortlaufend Meldungen erhalten.«
»Was geht da eigentlich vor?«, fragte Sniper, und es gelang ihm
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