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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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spielt.«
    Dana lachte und betätigte die Spülung. »Und was war er nun für einer?«
    »Ein kleiner Junge.«
    »Na und?« Dana zog eine Augenbraue hoch und lachte wieder.
    Der Tag, an dem Nancy unerwartet nach Hause gekommen war und ihre Mitbewohnerin im Nahkampf mit einem Siebzehnjährigen auf dem Teppich überrascht hatte, war in mehr als einer Hinsicht ein Aha-Erlebnis für sie gewesen. »Er ist sehr weit für sein Alter«, hatte Dana erklärt. »Hat ein klasse Abitur hingelegt und ist unheimlich ehrgeizig.«
    »Ja, das ist mir gleich aufgefallen«, sagte Nancy. Tatsächlich waren ihr die Kratzer auf dem Rücken des Jungen aufgefallen, bevor dieser sein Simple-Minds- T-Shirt wieder übergezogen hatte.
    »Habe ich dir eigentlich schon erzählt«, sagte Nancy jetzt, »dass dieser Gary und ich auf derselben Schule waren.«
    »Nein. Echt?«
    »Ja. Er war zwei Klassen unter mir.«
    »Und er heißt Gary?«
    »Hm.«
    »Und du hast dich an ihn erinnert?« Dana stand auf Zehenspitzen vor dem Badezimmerspiegel und inspizierte ihre Brüste.
    »Keine Spur.«
    »Aber er sich an dich.«
    Nancy wand sich das Handtuch um den Kopf und griff nach einem zweiten. »Ich war damals mit einem Jungen zusammen, der mit Garys älterem Bruder befreundet war.«
    »Na bitte, passt doch. Gary hat dich aus der Ferne angeschmachtet und du hast ihn nicht mal bemerkt. Genau der Stoff, aus dem die feuchten Träume von pickeligen Pubertären gemacht sind.«
    Nancy schnitt eine Grimasse und beugte sich lachend übers Klo, als müsste sie sich übergeben.
    »Sag mal, das ist doch kein Knoten, oder? Hier, schau.« Mit ernster Miene musterte Nancy die linke Brust ihrer Freundin.
    »Ich weiß nicht. Sehen kann ich nichts   –«
    »Dann fühl mal.«
    Nancy hob die Hand, Dana ergriff sie und führte sie zur verdächtigen Stelle.
    »Und?«
    Nancy drückte mit den Fingerspitzen und schob das Gewebe hin und her. Ja, da war etwas, eine winzige Muskelverhärtung vielleicht, aber kein Knoten. »Nein«, sagte sie. »Alles in Ordnung, soweit ich das beurteilen kann. Nichts Besorgniserregendes.«
    »Natürlich nicht.« Dana lächelte. Eine ihrer Freundinnen, gerade fünfunddreißig, musste gleich zu Beginn des neuen Jahres zu einer Brustamputation ins Krankenhaus.
    »Kann ich deinen Fön leihen?«, fragte Nancy. »Meiner ist hinüber.« Schon an der Tür fügte sie hinzu: »Sag mal, für diese Fete heute Abend müssen wir uns doch nicht besonders fein machen?«
    Diesmal war Danas Lächeln echt. »Doch, piekfein.«
    Es hätte vielleicht geholfen, dachte Nancy auf dem Weg in ihr Zimmer, wenn der Schrecken heute Nachmittag größer gewesen wäre, das hätte mich vielleicht auf Touren gebracht und ich hätte endlich meine verdammten Tage bekommen.
     
    Martin Wrigglesworth sah seine Arbeitstage nicht mehr in Kategorien von gut oder schlecht; sie waren alle nur Variationen des Letzteren – schlecht, weniger schlecht, schlechter, am schlechtesten. An manchen Tagen, wenn ihm wieder einmal sein klappriger alter R 5 vor der Ampel an der Noel Street stehen blieb, dachte er, ganz Forest Fields gehörteunter Fürsorge gestellt. Aber warum da die Grenze ziehen? Es traf genauso für alle anderen Bezirke zu, Hyson Green, Radford, und wie sie alle hießen. Hinein mit den über Sechzigjährigen in Altenheime. Kinder unter elf gehörten in Pflegefamilien, die Zwölf- bis Siebzehnjährigen in Erziehungsheime. Die Übrigen sollten in ein umfassendes Arbeitsprogramm gesteckt werden und etwas tun für ihre Sozialhilfe, indem sie nützliche Arbeit leisteten, beispielsweise den Stadionrasen mit Nagelscheren schnitten. Das waren die Gedanken, die Martin über seine weniger schlechten Tage hinweghalfen.
    An den Wochenenden zu Hause in Nuthall, wenn er dem Badezimmer einen neuen Anstrich verpasste, die Jungen vom Schwimmen abholte, seiner Frau bei der Wäsche half, versuchte er, sich ins Gedächtnis zu rufen, wann genau er sich entschlossen, was genau ihn dazu getrieben hatte, Sozialarbeiter zu werden, was ja ein guter und ehrenwerter Beruf war.
    Und was, überlegte Martin, als er in eine weitere schmale Straße in einem Gewirr schmaler Straßen einbog, sollte er tun? Was wäre eine ehrenwerte Lösung? Brutus, der ein ehrenwerter Mann gewesen war, hätte sich natürlich ohne weiteres in sein Schwert gestürzt, aber bislang hatten die Hypothek auf das Haus und die Aussicht auf eine Pension sowie der Wunschtraum, in Südfrankreich ein heruntergekommenes Bauernhaus zu renovieren, so einen

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