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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Gedanken nicht zugelassen.
    »Martin«, sagte seine Frau manchmal verdrossen, während sie über ihren Schulaufsätzen saß, »wenn dich das alles so runterzieht, warum kündigst du dann nicht? Gib den Job doch einfach auf. Du findest schon was anderes.« Bei mehr als drei Millionen Arbeitlosen? Er wusste nur zu gut, was er da finden würde. Anstatt den Job aufzugeben, hatte er sich selbst aufgegeben.
    Nummer 37, las er mit einem hastigen Blick auf den gekritzelten Zettel auf dem Sitz neben sich. Eine Zeile schmuckloser zweistöckiger Häuser, deren Türen direkt ins Wohnzimmer führten. Nachdem er den Wagen abgeschlossen hatte, ging er über den schmalen, holprigen Gehweg zur Tür, deren Lack abgeblättert war. Kurz vor Dienstschluss der Hinweis einer Polizeibeamtin, die um das Wohl eines Kindes besorgt war: Weiß der Himmel, was er hier vorfinden würde. Vor nicht allzu langer Zeit hatte eine junge Mutter den Penis ihres zweijährigen Sohnes in heißen Tee getaucht und das Kind in die Wäscheschleuder gesteckt.
    »Hallo«, sagte er, als Michelle öffnete, »Ms Paley? Martin Wrigglesworth, Sozialdienst   …« Er zeigte ihr seinen Ausweis. »Ich komme wegen Ihres Sohnes – äh – Karl. Vielleicht könnten wir uns drinnen unterhalten?«
     
    »Wie sehe ich aus?«
    Nancy zeigte sich an der offenen Tür zu Danas Zimmer in silbernem Häkeltop, kurzem schwarzem Rock, silbern genoppten hellgrauen Strümpfen und ledernen Halbstiefeln mit etwas Absatz. Als Dana sie Mitte November gefragt hatte, ob sie Lust hätte, zur Weihnachtsfeier ihrer Firma mitzukommen, hatte ihr die Vorstellung gefallen.
    »Phantastisch«, sagte Dana begeistert. »Du siehst umwerfend aus.«
    »Ich komme mir vor, als wäre ich drei Meter groß.«
    »Besser als eins fünfzig breit wie ich.« Dana sah aus, als hätte sie sich kopfüber in ihren Kleiderschrank gestürzt und sich alles an grellen Farben geschnappt, was sie finden konnte, Gelb, Violett und Grün. Ein Papagei mit Dekolleté, dachte Nancy.
    »Nein, im Ernst, ich komme mir blöd vor.«
    »Du siehst prima aus. Sämtliche Männer im Saal werden die Hälse recken   –«
    »Genau das fürchte ich.«
    »–   und sich sofort auf dich stürzen.«
    Nancy betrachtete sich in Danas großem Spiegel. »Ich sehe aus, als ginge ich zum Casting für ›Aladin‹.«
    »Na, ist doch wunderbar. Du kriegst die Rolle.«
    Nancy kehrte zur Tür zurück, bemüht, nicht in allzu kleinen Trippelschritten zu gehen. Ein, zwei dieser Männer hatte sie schon kennengelernt, Architekten, sie schienen gar nicht so übel zu sein. Jedenfalls interessanter als die Leute, mit denen sie selbst zusammenarbeitete. »Vielleicht ist das doch kein so guter Gedanke«, meinte sie. »Vielleicht sollte ich es lieber lassen. Das sind doch alles deine Freunde und Kollegen, ich kenne da kaum jemanden.«
    »Du bist auch meine Freundin. Außerdem habe ich schon allen von dir erzählt   –« Nancy hielt eine Hand vor die Augen. »–   und du bekommst das Geld für den Eintritt nicht zurück.«
    »Also gut«, sagte Nancy, »du hast mich überredet. Ich komme mit.«
    Dana nahm ihre Armbanduhr vom Toilettentisch und hob sie dicht vor die Augen. »Das Taxi kommt in zwanzig Minuten.«
    »Ich dachte, es fängt erst um acht an.«
    »Ja, aber wir treffen uns vorher noch zu einem Drink bei Sarah Brown’s.«
    »Da wird es doch bestimmt irre voll sein.«
    »Um so besser. Wir unter den Reichen und Schönen.«
     
    »Trotzdem«, sagte Martin Wrigglesworth zu Michelle, »nur zur Sicherheit, wäre es mir lieber, wenn wir mit ihm zum Arzt fahren und ihn ansehen lassen würden.« Von irgendwoher kramte er ein Lächeln heraus. »Sicher ist sicher.«
    »Jetzt, meinen Sie?«, fragte Michelle. »Sie wollen jetzt mit ihm zum Arzt fahren?«
    »Ja«, antwortete Martin und schob seinen Kugelschreiber in die Brusttasche. »Jetzt.«
     
    Das Taxi kam eine Viertelstunde zu früh, und der Fahrer meinte, er könnte sie für die Wartezeit zahlen lassen, aber von dieser Illusion befreite Dana ihn schnell. Nancy hatte den schwarzen Rock mit einer weiten schwarzen Hose getauscht und dann doch wieder den Rock angezogen. Sie hatte sich einen von Danas Mänteln geliehen, knallrote Wolle, höchster Reiz für jeden Stier.
    »Deine Eintrittskarte hast du?«
    Nancy klopfte auf das paillettenbesetzte Täschchen in ihrer Hand.
    »Und Kondome?«
    Nancy streckte ihr die Zunge heraus. »So ein Abend wird das sicher nicht.«
    Dana lehnte sich lächelnd auf dem Rücksitz des

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