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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Christmas‹ auflegte. In zügiger Folge wurden die Speisen aufgetragen: Suppe, für einen blauen Bon gab es Pute, für einen pinkfarbenen Lachs; der Obstsalat konnte mit oder ohne Schlagsahne bestellt werden. Zwei Flaschen Wein für jeweils acht Personen, ein Weißer und ein Roter; sonstige Getränke holte man sich an der Kellerbar. Wenn es dort zu voll wurde, konnte man jederzeit über den Hof ins Hauptgebäude des Hotels hinübergehen und durch das Foyer in die Hotelbar.
    »Auf in den Kampf, Herrschaften!«, schrie der DJ über das letzte Klappern des Bestecks und das anschwellende Stimmengewirr hinweg in sein Mikrofon. »Wer traut sich als Erster aufs Parkett?«
    »Hey, Charlie, was meinst du«, brüllte Reg Cossall Resnick ins Ohr, »wollen wir nicht lieber von hier verschwinden und uns was Anständiges zu trinken holen?«
    »Später vielleicht, Reg. Später.«
    Cossall stieß seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich binjetzt mal eine Weile drüben auf der anderen Seite für den Fall, dass du’s dir anders überlegst. Dann geh ich wahrscheinlich runter ins ›Blue Bell‹.«
    Zusammen mit Reg Cossall hatte Resnick seinerzeit zu oft bis zur Sperrstunde in den verschiedenen Kneipen gesessen, um die Morgen danach vergessen zu können. Er würde ungefähr noch eine halbe Stunde bleiben, lange genug, um guten Willen zu zeigen, sich dann französisch empfehlen und die anderen ihrem Spaß überlassen. Divine, ein paar Tische weiter, war, wie er sah, schon kräftig in Fahrt und versuchte, eine der neuen Kolleginnen auf die Tanzfläche zu lotsen.
    »Kommen Sie, spüren Sie den Sound«, rief der DJ und drehte die Musik von Slade so weit auf, dass sie dröhnend von der Zimmerdecke zurückprallte.
    Jack Skelton trug einen Smoking mit mitternachtsblauer Schleife. Er stand in angeregtem Gespräch mit Helen Siddons zusammen, einer Kollegin, die kürzlich zum Inspector beim CID befördert worden war und die Stadt als Zwischenstopp auf ihrem steilen Aufstieg nach oben nutzte. Sie gaben ein elegantes Paar ab, wie sie da beieinanderstanden, Siddons in einem knöchellangen blassgrünen Abendkleid.
    Resnick schaute sich um, besorgt, Skeltons Frau könnte allein dasitzen und Gesellschaft brauchen. Dabei fiel sein Blick auf Kevin Naylor und dessen Frau Debbie, die sich händchenhaltend tief in die Augen sahen. Die zweiten Flitterwochen, dachte Resnick, gerade noch auf den letzten Drücker. Eine ganze Weile hatte es so ausgesehen, als würde diese Ehe wie so viele in seinem beruflichen Umfeld vor seinen Augen langsam aber sicher in die Brüche gehen. Es war mehr als ein Zeichen der Zeit; selbst in Tagen, als Familien stabiler zu sein schienen und nicht jeder neuen Beziehung gleich das Verfallsdatum aufgestempelt war, waren die Scheidungsziffern bei der Polizei hoch gewesen. Wieoft hatte Reg Cossall im Dienstraum an die versammelte Mannschaft Zigarren verteilt und auf dem Standesamt seine Unterschrift geleistet? Zweimal? Dreimal? Und es wurde getuschelt, dass er es demnächst noch einmal versuchen wollte. Resnick setzte sich wieder. Entweder man war wie Reg oder man machte nach dem ersten fehlgeschlagenen Versuch die Schotten dicht.
    Und wie ist es bei dir, Charlie?
    Er hatte Skeltons Frau Alice jetzt entdeckt. Drei Tische entfernt trank sie, den Kopf in den Nacken gelegt, ihren letzten Schluck Wein und griff dann nach der Flasche, um sich nachzuschenken, bevor sie eine Zigarette aus der Packung schüttelte, ein kleines goldenes Feuerzeug aus ihrer Tasche nahm und ein graues Rauchwölkchen ausstieß, das faserig an ihrem Gesicht vorüberzog.
    »Alice?« Er war neben ihr stehen geblieben und wartete darauf, dass sie sich umdrehte.
    »Charlie. Hallo – wie nett. Sie wollten wohl nur mal vorbeischauen?«
    Resnick, dem plötzlich unbehaglich war, zuckte mit den Schultern. »Ich habe Sie gesehen   …«
    »So ganz allein. So einsam und verlassen.«
    Lautes Gelächter von der Tanzfläche, wo jemand versucht hatte, Michael Jackson zu imitieren, und damit kläglich gescheitert war.
    »Nun setzen Sie sich schon, Charlie. Sie stehen ja herum wie bestellt und nicht abgeholt.«
    Resnick nahm sich den Stuhl neben ihr und überlegte, wie viel sie schon getrunken, wie lange vor der Fahrt hierher sie damit angefangen hatte. Bei keinem ihrer seltenen gesellschaftlichen Treffen im Lauf der letzten zehn Jahre hatte er sie laut oder derb erlebt.
    »Hat er Sie hergeschickt, Charlie?«
    Resnick schüttelte den Kopf.
    »Kümmern Sie sich ein bisschen um

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