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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wir sie auch anständig groß.«
    Und wenn sie es nicht tun?, hatte Michelle fragen wollen. Wenn wir hierbleiben müssen? Was ist dann?
    »Michelle? Kommst du jetzt mal?«
    Als sie wieder ins Zimmer trat, hatte er den Fernseher ausgeschaltet, das Licht ausgemacht und das Sofa näher zum Feuer geschoben. Er saß zurückgelehnt in einer Ecke, die Beine ausgestreckt und leicht geöffnet. Bei diesen engen Jeans blieb ihr keine Sekunde lang verborgen, dass er erregt war.
    »Na?«
    Sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie auf ihn zuging. Wenn sie die Erinnerung daran, wie er Karl geschlagen hatte, eine Weile verdrängen konnte, würde es vielleicht doch ganz gut werden.
    Gerade als er sie drängend küsste und seine Hand unter ihren Pullover schob, klopfte Lynn Kellogg energisch an die Haustür.
     
    Zuvor hatte Lynn auf der Dienststelle bei einer Tasse Tee mit Dana Matthieson gesprochen und versucht, sich nicht dadurch stören zu lassen, dass der Rauch von Danas Zigaretten ihr ins Gesicht zog und in den Augen brannte. Wie alt mag sie sein, dachte Lynn. Sechs Jahre älter als ich? Sieben? Sie hatte eines dieser runden Gesichter, ihrem eigenen nicht unähnlich, die vor Lebendigkeit strahlen konnten; ihre Augen waren sehr dunkel, und sie war voller Energie. Doch wie sie ihr so blass und verquollen gegenübersaß, ununterbrochen von Nancy redete, immer wieder dieselben Einzelheiten, Fakten und Vermutungen ausbreitete, sah Dana völlig fertig aus.
    »Haben Sie nicht eine Freundin, bei der Sie vorübergehend unterkommen können?«, hatte Lynn gefragt. »Wenigstens für die kommende Nacht? Das wäre doch besser, als ganz allein in der Wohnung zu bleiben.«
    Aber Dana ließ sich nicht davon abbringen, dass sie in der Nähe des Telefons sein müsse, wenn Nancy anrief, und in der Wohnung, wenn sie die Tür aufsperrte.
    »Sie glauben doch nicht, dass ihr etwas passiert ist?«, fragte sie plötzlich, verzweifelt Lynns Arm umklammernd. »Das kann nicht sein, oder?«
    Es waren noch keine vierundzwanzig Stunden vergangen, es war immer noch möglich, dass sie unversehens wohlbehalten zurückkehrte. Sich mit einer Postkarte odereinem Anruf meldete. Ich musste einfach mal weg. Tut mir leid, wenn ihr euch Sorgen gemacht habt. Die Gelegenheit hat sich geboten, und ich habe sie ergriffen. So etwas geschah jeden Tag: Menschen gingen, einem Impuls oder einer Laune folgend, plötzlich auf und davon. Nach Paris, London, Rom. Das waren nicht die Fälle, mit denen Lynn zu tun hatte, oder wenn doch, dann nur am Rande. Wenn allerdings aus den vierundzwanzig Stunden achtundvierzig wurden, ohne dass sie ein Lebenszeichen gab, dann   … aber es war ja noch Zeit.
     
    Die Lichter im Haus schienen alle aus zu sein, aber sie hörte Stimmen. Sie klopfte noch einmal.
    »Ja?« Gary öffnete ihr schließlich, mit einer Hand das Hemd in die Jeans stopfend. Hinter ihm hatte Michelle Licht gemacht.
    Lynn zeigte ihren Dienstausweis und fragte, ob sie hereinkommen dürfe.
    »Worum geht’s denn?«
    »Es wäre vielleicht einfacher, wenn wir uns drinnen unterhalten.«
    »Einfacher für wen?«
    »Gary   –«, begann Michelle.
    »Halt du dich da raus.«
    Michelle, die in der Mitte des Zimmers stand, zuckte unwillkürlich zusammen, ein Schatten der Furcht verdunkelte einen Moment lang ihre Augen.
    Lynn setzte einen Fuß auf die abgetretenen Dielen jenseits der Schwelle.
    »Wer hat Sie gebeten   –«
    »Gary!«
    »Hab ich dir nicht gesagt   …«
    »Ihnen ist es doch sicher auch angenehmer, wir reden hier«, sagte Lynn, »statt auf der Dienststelle.« Gary senkteden Kopf und trat zur Seite. »Und bei dieser Kälte machenwir vielleicht besser die Tür zu«, setzte sie hinzu und schloss die Haustür.
    »Ich wollte gerade Tee machen«, sagte Michelle.
    »Lange wird sie nicht hier sein«, fuhr Gary sie an. »Das dauert bestimmt nicht die ganze Nacht.«
    »Eine Tasse Tee nehme ich gern«, sagte Lynn. »Danke.« Sie lächelte, und Michelle ging in die Küche, froh, verschwinden und die beiden allein lassen zu können.
    Das Sofa stand anders, sonst war alles wie bei Lynns letztem Besuch am Tag zuvor. Dieselben abgenutzten Teppichfliesen, Möbel von Family First. Ein paar weihnachtliche Girlanden, ein paar Weihnachtskarten. Schimmel in den Ecken, Feuchtigkeit an den Wänden. Trotz dem noch schwelenden Feuer war es so kalt, dass Lynn es sich zweimal überlegte, ehe sie ihre Handschuhe auszog.
    »Also?« Gary zündete sich eine Zigarette an und ließ das abgebrannte

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