Nebel über dem Fluss
wollte sie einbeziehen, keinesfalls den Zorn auf sich gerichtet sehen. Wenn Nancy wirklich nicht aus freien Stücken verschwunden war, würden sie die Eltern auf ihrer Seite brauchen.
»Wollen Sie kein Foto haben? Meine Frau hat bestimmt eins da …«
Resnick erklärte, dass sie von Dana eines bekämen, daserst wenige Wochen zuvor aufgenommen worden war. Eine detaillierte Beschreibung war bereits an alle Dienststellen in der Stadt und an alle diensthabenden Beamten weitergeleitet worden.
»Und wollen Sie es im Fernsehen bringen? In den Nachrichten?«
Resnick hatte mit Skelton darüber gesprochen und Skelton hatte es seinerseits mit dem Chief Superintendent erörtert. Sie hatten beschlossen, noch zwölf Stunden abzuwarten und erst dann an die Öffentlichkeit zu gehen.
»Ich dachte, Sie würden richtig Dampf machen. Es geht um meine Tochter, verdammt noch mal …«
»Mr Phelan, wir halten es noch immer für das Wahrscheinlichste, dass Nancy gestern Abend einfach beschlossen hat, den Weihnachtstag mit einem Freund zu verbringen.«
»Ohne irgendjemandem Bescheid zu geben?«
»Möglich ist es.«
»Klar, und Schweine fliegen.«
»Mr Phelan, wir müssen –«
»Ich sag Ihnen, was Sie müssen – Sie müssen endlich in die Gänge kommen und sie finden.«
»Mr –«
»Nein. Ich habe genug von Ihren idiotischen Theorien. Ganz gleich, was Nancy sich plötzlich in den Kopf gesetzt hat, sie hätte am Weihnachtstag ihre Mutter angerufen. Und denken Sie doch mal an ihre Freundin, die, mit der sie zusammenwohnt, bei der hätte sie sich garantiert gemeldet, um ihr zu sagen, was sie vorhat. Ich meine, wie viel Zeit braucht ein Telefongespräch?«
»Wir halten es für das Wahrscheinlichste, dass sie am Weihnachtsabend einem Mann begegnet ist –«
»Was für einem Mann?«
»Das wissen wir noch nicht. Wir sind noch –«
»Von was für einem Mann reden Sie, gottverdammich? Von einem, den sie kannte oder was?«
»Nicht unbedingt.«
»Wollen Sie mir sagen, dass meine Tochter ein Flittchen ist?«, rief er empört, und hundertsechzig Kilometer entfernt wurde ein Telefonhörer an die Wand geknallt.
Besser ein lebendes Flittchen, dachte Resnick, als eine tote Nonne.
Naylor und Divine arbeiteten sich durch die Listen, die Lynn zusammengestellt hatte, Listen der Männer, mit denen Nancy ausgegangen war, mit denen sie am Weihnachtsabend getanzt oder sich länger unterhalten hatte. Dana hatte nicht beschwören können, dass die Listen vollständig waren.
Es musste doch etwas Leichteres, Lustigeres zu tun geben.
Den Hörer zwischen Kinn und Schulter geklemmt, kramte Divine noch ein extrastarkes Pfefferminz aus der Packung. Er beendete das Telefongespräch und hakte einen weiteren Namen auf seiner Liste ab.
»Ja, Sir«, sagte Naylor drüben, auf der anderen Seite des Raums, »Phelan. P-H-E-L-A-N. Nancy. Ja, richtig.«
Taub, dachte Divine, oder blöd. Komatös. Diese Typen alle, die sich erst vom Sofa hieven mussten, auf dem sie nach dem großen Weihnachtsfressen eingeschlafen waren. Divine selbst war erst am Nachmittag mit brummendem Schädel aus seinen Bitter-und-Bacardi-Nebeln wieder aufgetaucht.
»Hallo, junge Frau. Ja. Kann ich vielleicht Mr McAllister sprechen?«
Divine saß an seinem Schreibtisch und starrte auf die Wand, an der sein ›Sun‹-Kalender gehangen hatte, bevor Lynn Kellogg völlig ausgerastet war und ihn in kleine Fetzen gerissen hatte. Eine Stinkwut hatte er gehabt. Jedes Mal bevor die Ziege ihre Periode hatte, kriegte sie den feministischen Koller. Aber der neue Kalender, den er sichfürs nächste Jahr gekauft hatte, mit all den Schönheiten von der dritten Seite, der hing schon daheim in seinem Bad, gab ihm Auftrieb, wenn er aus der Dusche trat.
»Hallo, Mr McAllister? Constable Divine, CID.«
Als Andrew Clarke von seiner Frau hörte, dass die Polizei am Telefon sei und ihn zu sprechen wünschte, war er gerade von einer langen Wanderung mit den Jungen am beinahe menschenleeren Strand zurückgekehrt. Möwen segelten tief über dem Wasser, als von draußen die Flut hereinzuströmen begann. Am Himmel war schon der verhangene Mond zu sehen, der Tag war beinahe vorbei. Sie waren, dick eingepackt gegen die Kälte, schnell gegangen, so schnell man im Sand eben gehen konnte. Zu Hause warteten Glühwein, Sandwiches, Billard und Kartenspiel.
»Bist du sicher, dass das für mich ist?«, fragte Clarke mit einem ersten Flattern von Furcht im Bauch, während er seinen Schal
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