Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
eintrug, damit auch keiner unbeachtet blieb.
    Das Weihnachtsfest im geräumigen Haus ihrer Eltern in Taunton war ein einziges Gewirr ungezügelter junger Stimmen, von denen jede lautstark, um die anderen zu übertönen, augenblickliche Bedürfniserfüllung forderte. Madeleine und ihre Schwestern saßen um den Eichentisch, der einst das Refektorium eines nahe gelegenen Klosters geziert hatte, lachten über alte Fotografien und alte Witze und reagierten höchstens mit einem gelegentlichen »Oh, Jeremey!«, »Oh, Tabetha, was habt ihr denn da wieder angestellt!« auf die Anwesenheit der Kinder, die durch das ganze Haus tobten.
    Millington hatte sich geduldig die Ansichten seines Schwiegervaters über Gesetz und Ordnung angehört, über den Zerfall der Familie, die mangelnde Achtung vor Autorität und das Versagen der Kirche, das Übel der Familien mit nur einem Elternteil, das dem der Zulassung von Frauen zum Priesteramt in nichts nachstand. Selbst beim Tischgebet ging es nicht ohne eine Spitze gegen die milde Behandlungjugendlicher Straftäter ab, bevor das Tranchiermesser angesetzt wurde.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Madeleine ab und zu, wenn sie zufällig an ihm vorbeikam.
    »Bei mir? Ja, natürlich. Alles bestens.«
    Und schon war sie wieder verschwunden, in Beschlag genommen von irgendeiner Dreijährigen mit zerzausten Haaren, die sie am Ärmel mit sich fortzog. »O ja, Miranda, das ist wunderschön. Komm, wir gehen zu Oma und zeigen es ihr.«
     
    Er hatte im Badezimmer Zuflucht gesucht und aus reiner Langeweile gerade angefangen, seinen Schnauzer zu stutzen, als er es in den Nachrichten hörte. Das kleine Kofferradio, das mit Puder besprenkelt auf der Konsole stand, war leise eingestellt. Sobald er den Namen der Stadt hörte, drehte er es lauter. Am Weihnachtsabend war eine junge Frau verschwunden, die Eltern waren besorgt, die polizeilichen Ermittlungen aufgenommen worden.
    Millington hatte vom Apparat im Wohnzimmer aus telefoniert. »Graham, Sir. Ich wollte mal hören, ob Sie mich vielleicht brauchen.«
    »Wie schnell können Sie hier sein?«, hatte Resnick gefragt.
    Vergnügt lavierte sich Millington zwischen kleinen Kindern hindurch, öffnete Türen, um seine Frau zu finden und ihr zu sagen, dass er, so leid es ihm tue, sofort abreisen müsse.

15
    »Da habe ich mich ja wohl gründlich blamiert.«
    Lynn saß neben Resnick auf einer Bank auf dem Friedhof, einem der wenigen Orte in der Nähe der Polizeidienststelle, wo man ab und zu fünf Minuten Ruhe hatte. Auf demsteil abfallenden Gelände vor ihnen wanden sich Fußwege zwischen viktorianischen Grabmalen hindurch, errichtet in liebender Erinnerung an Herbert oder Edith, zweieinhalb Jahre alt, dahingegangen in eine bessere Welt. In der Ferne, jenseits der Waverley Street, schimmerte das Grün des Arboretum Parks matt in der Wintersonne.
    Resnick schluckte einen Bissen von seinem Sandwich hinunter, bevor er antwortete. »Sie haben gesagt, was Sie für nötig hielten.«
    »Aber es war nicht der richtige Moment«, entgegnete Lynn. »Und sich so mit Grafton anzulegen war ausgesprochen dumm.«
    »Was er von sich gegeben hat, war auch nicht gerade brillant.«
    »Ja, aber taktisch   …«, Lynn schüttelte den Kopf. »Wenn ich bei jeder sexistischen oder unsensiblen Bemerkung eines Vorgesetzten gleich hochginge, was glauben Sie wohl, wie lange ich mich beim CID halten würde? Ganz zu schweigen von einer Beförderung.«
    Weit vorgebeugt, um sein Hemd nicht mit Essig zu bekleckern, biss Resnick krachend in eine süßsaure Gurke.
    »Wirklich gefährlich fände ich es«, fuhr Lynn fort, »wenn das bedeuten sollte, dass wir Gary James nicht ernst nehmen. So nach dem Motto, ach, lasst die alte Lynn doch quatschen, die muss immer irgendein Steckenpferd reiten.«
    Resnick lachte ein wenig bitter. »So reden sie von mir schon seit Jahren.«
    Lynn sah ihn an. Sie verkniff sich die Frage, wohin ihn das gebracht habe? Sie brauchte nicht zu fragen. Sie wussten beide, dass ihm bei der Beförderung ein jüngerer, weniger erfahrener Mann vorgezogen worden war.
    »Sie sehen ihn wirklich als möglichen Täter in dieser Sache? Ich meine, in Zusammenhang mit Nancy Phelan?«
    »Für mich ist er auf jeden Fall ein Täter.«
    »Sie meinen wegen dem kleinen Jungen?«
    »Zum Beispiel.«
    Resnick hatte ein flaues Gefühl im Magen. »Sie haben sich noch einmal an den Sozialdienst gewandt?«
    »An Martin Wrigglesworth, ja. Das heißt, ich hab’s versucht. Ich habe mehrere Nachrichten

Weitere Kostenlose Bücher