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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einem Tisch in der Ecke saß und ein Formular ausfüllte, das verdächtig nach einem Stellengesuch aussah. »Könnten Sie   …?«
    Was Millington bedrängte, war für alle klar erkennbar.
    »Rechts den Korridor hinunter, dann die zweite links.«
    Millington hatte nicht richtig aufgepasst und nahm statt der zweiten gleich die erste Tür links. Er öffnete gerade seine Hose und sah sich verzweifelt nach einem Urinal um, als von Wasserrauschen begleitet Madeleine Johnstonein ihrem flaschengrünen Laura-Ashley-Kleid, grüner Strumpfhose und bequemen Schuhen aus einer Kabine trat.
    »Tut mir leid, ich   –«
    »Hier«, sagte Madeleine und stieß die Kabinentür auf. »Gehen Sie da hinein.« Und als er an ihr vorbeistürzte, krachend die Tür zuschlug und den Riegel vorschob, fügte sie hinzu: »Ich stehe solange Schmiere.«
    Da kann was nicht stimmen, dachte sie draußen im Korridor, umgeben von all den Projektarbeiten zum Hunger in der Dritten Welt, ein Mann seines Alters mit Prostataproblemen?
     
    Das nächste Mal lief er ihr im Victoria-Center über den Weg. Sie kam gerade mit Plastiktüten voller Geschenke für die Zwillinge ihrer Schwester aus dem Spezialgeschäft für Lernspielzeug und Millington war auf dem Weg zu Thornton’s, um sich eine Tüte Pfefferminztaler zu gönnen, vielleicht ein paar Cremehütchen dazu.
    »Oh, entschuldigen Sie!«, sagte er, als er mit ihr zusammenprallte und eine Flut pädagogisch wertvoller Geschenke in kindergerechter Verpackung sich zu seinen Füßen ergoss.
    Er wusste sofort, dass sie ihn erkannt hatte, als er ihren Blick bemerkte, der an ihm abwärtsflog, als wollte sie sich vergewissern, dass er nicht vorhatte, sich im grellen Schein des künstlichen Lichts vor ihr zu entblößen.
    Er hob ein Netz voll bunter Bälle auf (achtzehn Monate bis drei Jahre) und drückte es ihr in die Hand. Sie schlug vor, eine Tasse Tee zu trinken und führte ihn in ein Café, wo er, unbequem auf einem schwarzen Lederhocker hängend, einRosinenbrötchen knabberte, das merkwürdig nach Zitrone schmeckte.
    »Das kommt daher«, erklärte Madeleine, »dass sie zum Bestreichen der Brötchen dasselbe Brett benutzen wie zum Salatmachen.«
    Die junge Frau, die sie bediente, war schwarz und hochnäsig, und ihr tiefdunkles Haar war so kraus wie Glaswolle.
    »Eine hübsche Person, nicht?«, meinte Madeleine, der Millingtons hoffnungsloser Blick nicht entging.
    Selbst Millington, der nicht zu den Sensibelsten gehörte, begriff, dass das hieß: Und was ist mit mir? Sieh mich doch einmal an.
    Madeleine war breit in den Schultern und schmal um die Hüften, ihre kräftigen Waden ließen darauf schließen, dass sie als Schulmädchen viel Hockey oder Basketball oder beides gespielt hatte. Sie hatte schlichtes braunes Haar ohne einen Stich ins Rötliche, kräftigen Flaum über der Oberlippe und verwirrend blaue Augen. Mit diesem Teint, darauf hätte Millington einen Wochenlohn gewettet, konnte sie nur irgendwo aus dem Süden stammen, aus Sussex oder Kent, oder einer der weiter südwestlich gelegenen Gegenden. Sanfte Winde und gesundes Essen.
    Als großartiger Detektiv, der er war, brauchte er bis zu diesem Moment, um einen Blick auf den Ringfinger ihrer linken Hand zu werfen.
    »Die Sachen sind nicht für mich, falls Sie das glauben sollten.« Madeleine sah auf die Tüten rund um ihre Füße. »Alles für meine Schwester. Sie hat Zwillinge. Liegt bei uns in der Familie.«
    Millington verspürte ein inneres Grausen.
    »Soviel ich weiß«, bemerkte Madeleine, »gilt es ja heutzutage bei Männern als altmodisch, einen Ehering zu tragen.«
     
    Sie hatten keine Kinder bekommen. Jedenfalls bisher nicht. Auch wenn es an Bemühen nicht gefehlt hatte. Aber das genetische Erbe ihrer Familie, die beinahe unbekümmerte Gebärfreudigkeit ihrer Schwestern, setzte sich bei ihnen nicht durch. Sie waren in Therapie gewesen, hatten sich allen möglichen Tests unterzogen, alles versucht bis auf Akupunktur, vor der Millington mit Entsetzen zurückschreckte. »Aber Graham, sie setzen die Nadeln doch nicht
da
.« Es hatte nichts geändert; Akupunktur kam nicht in Frage.
    Madeleine bewarb sich um Beförderung und wurde belohnt; sie rannte von einem Weiterbildungskurs zum anderen, das fing bei chinesischer Küche an, führte über europäische Sprachen und hörte bei britischer visionärer Kunst noch lange nicht auf. An der Wand in der Küche hing ein Plan, auf dem sie in verschiedenen Farben Alter und Geburtstage ihrer Nichten und Neffen

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