Nebel über dem Fluss
Stück Weg vor uns, Reg«, sagte Resnick.
Cossall nahm sich die nächste Zigarette aus der Packung. »Wenigstens habt ihr was, wo ihr die Zähne reinhauen könnt, du und Graham. Ich stecke immer noch bis zum Arsch in Computerausdrucken und beschissenen Querverweisen.« Als sein Feuerzeug streikte, kramte er eine Schachtel Streichhölzer aus seiner Jackentasche. Das abgebrannte Hölzchen beförderte er mit einem Fingerschnippen in die Tasche zurück. »Ich treffe mich nachher mit Rose im ›Borlace‹ und danach gehen wir wahrscheinlich was essen.« Er schnaubte graublauen Rauch in die Luft. »Hast du Lust mitzukommen?«
Resnick schüttelte den Kopf. »Danke, Reg. Ich muss arbeiten.«
Cossall nickte. »Dann eben ein andermal.«
»Vielleicht.«
»Rose mag dich. Sie findet, du hast einen guten Humor. Wahrscheinlich verwechselt sie dich mit jemandem.«
»Gute Nacht, Reg.«
Cossall lachte und ging.
Ist es zu einfach?, dachte Resnick. Zu simpel? Er rief sich Robin Hiddens Gesicht ins Gedächtnis, als der junge Mann von seinem letzten Abend mit Nancy berichtet hatte, ihrem letzten gemeinsamen Abendessen, bei dem alle seine Hoffnungen vernichtet worden waren. Er dachte an seine Lüge, sie vor dem Hotel gesehen zu haben. Wie heftig musste die Wut sein? Wie tief die Verletzung? Er sah den lebendigen Schmerz in Robin Hiddens Augen. Wie viele Lügen noch?
»Wie haben Sie es sich gedacht?«, hatte Skelton gefragt. »Wollen Sie ihn über Nacht dabehalten? Weiter nachstoßen?«
Resnick hatte den Eindruck, dass Hidden für den Moment an die Grenze getrieben worden war und weiteres Nachstoßen nichts bewirken würde. Erschrocken über sein Geständnis hatte er sich sofort abgekapselt, und selbst David Welch war kompetent genug, ihn in seinem Schweigen zu bestärken. Sie hatten ihn deshalb gehen lassen, heim nach West Bridgford, wo er in der Musters Road im zweiten Stock eines alleinstehenden Hauses mit überdachtem Parkplatz und Sprechanlage wohnte. Heim zu seiner Mikrowelle und seinen Wanderkarten und seinen Gedanken. »Wir werden selbstverständlich noch einmal mit Ihrem Mandanten sprechen wollen«, hatte Millington mit wohlwollendem Lächeln an der Tür gesagt.
Resnick stand auf und rieb sich die Augen. Die Häuser hinter dem Fenster waren in zartviolettes Licht gehüllt.
Lynns Wohnung mit Balkon zu einem teilweise gepflasterten Innenhof befand sich in einer kleinen Genossenschaftsanlage am Lace Market. Die Zimmer waren immerhin so groß, dass sie nicht über die eigenen Füße stolperte, aber wiederum nicht so groß, dass sie zu besonders viel Besitz einluden. Die Böden saugte oder schrubbte sie ungefähr einmal die Woche, Staub wischte sie, wenn mit Besuch zu rechnen war. Feines Grau blieb an ihrer Fingerspitze hängen, als sie über das gekachelte Bord über dem Gaskamin strich. Kavalier, in welchem Zusammenhang hatte sie diesen Ausdruck gehört? Sie versuchte, den Staub wegzublasen, aber er haftete fest an ihrer Haut und sie strich sich mit der Hand über den Rock, als sie sich bückte, um das Gasfeuer einzuschalten. Plötzlich fiel es ihr ein, ein Film, den sie im Fernsehen gesehen hatte. Irgendetwas mit Glas. ›Die Glasmenagerie‹, genau. Es ging um eine gehbehinderte junge Frau, die eigentlich doch nicht ganz so jung war und sich in ihrer Sammlung kleiner Glastiere verlor, während sie auf die Ankunft ihres Kavaliers wartete.
Das Radio stand in der Küche, und Lynn drehte es an, bevor sie Wasser in den Kessel laufen ließ; eine Sängerin, die sie nicht kannte, sang ein irisches Lied. Die Stimme war weich und warm, und ohne einen bestimmten Grund musste sie an zu Hause denken. Während sie die Kanne mit warmem Wasser ausschwenkte, das sie dann ins Spülbecken goss, sah sie ihre Mutter vor sich, die es seit Jahren tagein, tagaus genauso machte. Sie schaltete das Radio aus und versenkte einen Teebeutel in der Kanne. Wie lange schon, fragte sich Lynn, hatte sie selbst aufgehört, auf einen Kavalier zu warten? Noch ehe der Tee richtig gezogen hatte, klingelte das Telefon.
»Ich rufe den ganzen Tag schon bei dir an«, sagte ihre Mutter.
»Ich bin im Moment erst von der Arbeit gekommen«, entgegnete Lynn gereizter als beabsichtigt.
»Einmal habe ich es in der Arbeit versucht, aber da war belegt.«
»Das wundert mich nicht. Es ist ein Feiertag, da sind wir noch dünner besetzt als sonst. Und du weißt, dass wir nach einer verschwundenen Frau suchen.«
Normalerweise hätte eine solche Bemerkung ihre Mutter
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