Nebel über dem Fluss
nach halb zwölf die letzten Kaffeetassen zusammenstellte, griff ihr ein Mann zwischen die Beine und presste den schwarzen Rock, den sie tragen musste, zwischen ihre Oberschenkel. Von einem Versehen konnte keine Rede sein. Miriam drehte sich blitzartig um, fuhr den Kerl an und hieb ihm eine Tasse mit Untertasse, die sie in der rechten Hand hielt, ins Gesicht. Der Mann schrie auf und fiel auf die Knie. In einer Blutlache schwammen die Splitter zweier abgebrochener Zähne. Miriam fand das wunderbar passend, bis sie erfuhr, dass der Mann nicht mit Zähnen, sondern mit Möbeln zu tun hatte.
Natürlich bestritt er zunächst, Miriam auch nur angefasst, geschweige denn unsittlich berührt zu haben. Das Einzige, was er schließlich einräumte, war die Möglichkeit,dass er, vom reichlichen Alkoholgenuss ein wenig angeschlagen, beim Aufstehen ins Wanken geraten war und sich an ihr festhalten wollte.
»Bullshit«, erklärte Miriam drastisch.
Als einer der Geschäftsführer des Hotels ihr befahl, sich zu entschuldigen, erklärte sie ihm unmissverständlich, wohin er sich Rock und Schürzchen schieben könne, und rannte aufgebracht aus dem Hotel, entschlossen, auf der Stelle nach Hause zu gehen. Genau in dem Moment sah sie ein Auto neben einer Frau anhalten, die direkt vor ihr ging. Der Fahrer rief einen Namen aus dem Fenster, sprang aus dem Wagen, als die Frau nicht reagierte, lief ihr nach und packte sie beim Arm.
Miriam war stehen geblieben, weil sie fürchtete, jetzt drohe einer anderen, was ihr selbst gerade passiert war. Aber nach ein paar Minuten lauten Wortwechsels, bei dem vor allem seine Stimme zu hören war, und einigem Gerempel zuckte die Frau mit den Schultern und schien es sich anders zu überlegen. Jedenfalls ging sie zur Beifahrerseite des Wagens und stieg ein. Der Fahrer setzte sich wieder ans Steuer, und die beiden fuhren weg, links den Hügel hinunter.
»Beschreibungen?«, fragte Resnick.
Cossall grinste. »Red selbst mit ihr.«
Miriam trug eine blaue Jeansjacke mit einem Button, »Hillary for President«, auf dem Revers, darunter ein verwaschenes Leinenhemd und einen gelben Rolli zu schwarzen Leggings und Doc Martens. Sie begrüßte Resnick mit einem vorsichtigen Lächeln.
»Tut mir leid, dass ich Sie das alles noch einmal fragen muss …«
»Ist schon okay.«
»Was würden Sie sagen, wie alt die Frau war, die sie in das Auto steigen sahen?«
Miriam schob mit geschlossenem Mund ihre Zunge hinund her, und Resnick erkannte, dass sie Kaugummi kaute. »Könnte ein paar Jahre älter gewesen sein als ich, aber nicht wesentlich.«
»Anfang zwanzig also?«
»Ja.«
»Und wie war sie gekleidet?«
Miriam warf einen Blick zu Cossall, bevor sie antwortete. »Wie ich schon sagte, silbriges Top, passende Strumpfhose, kurzen schwarzen Rock. Sie hatte so einen roten Mantel um die Schultern. Bisschen theatralisch, fand ich. Aber …« Ihr Blick flog zwischen Resnick und Cossall hin und her. »Das ist die Frau, oder? Die, die vermisst wird. O Mist, ich hätte was tun können. Ich hätte es verhindern können.«
»Ich bezweifle, dass Sie irgendetwas hätten tun können«, entgegnete Resnick. »Sie haben abgewartet, um zu sehen, was passiert, das ist mehr, als die meisten getan hätten. Aber sie ist aus freiem Willen in den Wagen gestiegen. Sie hatten keinen Grund, sich einzumischen.«
»Aber als ich von der Geschichte hörte, in den Nachrichten, zu Hause, während der Feiertage – Gott, wie kann man nur so dämlich sein! Ich hab nicht mal nachgedacht.«
»Jetzt regen Sie sich nicht auf«, sagte Cossall. »Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen.«
»Wie sah das Auto aus?«, fragte Resnick.
»Eine viertürige Limousine, blau, dunkelblau. Wenn ich nur mein Hirn eingeschaltet hätte, wenn ich wegen diesem Wichser – diesem Idioten im Hotel nicht so aufgebracht gewesen wäre, hätte ich mir die Nummer aufgeschrieben. Sie wissen schon, nur für den Fall. Aber so …«
»Welches Fabrikat?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber ich würde den Wagen wahrscheinlich wiedererkennen.«
»Beschreiben Sie den Fahrer«, forderte Cossall sie auf.
Miriam beschrieb Robin Hidden – groß, leicht gebeugteHaltung, drahtig, Brillenträger – haargenau. Bis auf das Stottern.
»Ich habe gleich gewusst, dass er lügt«, sagte Millington.
»Ich hab’s einfach gespürt.«
»Im Urin, wie, Graham?« Cossall grinste.
Sie waren in Resnicks Büro, während Lynn Kellogg inzwischen mit Miriam einen
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