Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Kaffee?«
    »Gut.«
    »Ist er auch stark genug?«
    »Wollen Sie mir nicht sagen, was Sie bedrückt?«
    Sie erzählte ihm von ihrem Traum. Einen Moment schwiegen sie beide.
    »Es ist ganz natürlich, dass Sie Angst haben«, sagte er schließlich. »Um sich selbst ebenso wie um ihn. Es ist eine schwere Zeit für Sie.«
    Lynn zog die Beine hoch und umschlang sie mit den Armen.
    »Wenn es wirklich Krebs ist«, sagte Resnick, »wie stehen dann seine Chancen?«
    »So richtig sagen sie das nicht.«
    »Und wie sieht die Behandlung aus? Chemotherapie?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.« Sie starrte auf einen Fleck an der Wand, um ihn ja nicht ansehen zu müssen. »Sie nehmen so viel wie möglich heraus. Es wird wahrscheinlich auf eine Kolostomie hinauslaufen. Das ist   –«
    »Ich weiß, was das ist.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen   … damit wird er nie fertig werden. Er   …«
    »Immer noch besser als das andere.«
    »Ich weiß nicht, ob das wahr ist.« Sie schlug mit dem Knie gegen den Sessel, als sie aufstand. Auf keinen Fall würde sie vor ihm zu weinen anfangen. Die Finger in das weiche Fleisch ihrer Handballen gedrückt, ging sie zu dem kleinen Fenster und starrte hinaus.
    »Ich weiß noch«, sagte Resnick, »als mein Vater ins Krankenhaus musste. Er hatte Probleme mit der Lunge, konnte nicht mehr richtig atmen. Nach einem halben Dutzend Treppenstufen hörte er sich an wie eine keuchende alte Dampfmaschine. Er ging zur Untersuchung und Beobachtung ins Krankenhaus. Sie gaben ihm irgendwelche Antibiotika. Er bekam Physiotherapie. Ich besuchte ihn manchmal, schaute vorbei, wenn ich gerade in der Nähe war. Fast immer war diese Frau da, weißer Kittel, weißeHose, freundlich, aber energisch, eine, die nicht mit sich spaßen ließ. ›Kommen Sie, Mr Resnick, Sie müssen das Atmen lernen.‹ ›Was denkt diese Person eigentlich, was ich die letzten sechzig Jahre getan habe, Charlie?‹, fragte er jedes Mal, sobald sie gegangen war.« Er seufzte. »Sie haben sicher getan, was sie konnten, aber er hat es ihnen eben nicht leicht gemacht. Schon als ich noch ein Kind war, habe ich ihn fast nie ohne Zigarette in der Hand gesehen.« Resnick sah Lynn an. »Aber sie haben getan, was sie konnten. Er konnte wenigstens das Krankenhaus verlassen und noch ein paar Monate zu Hause leben.«
    Sie drehte sich mit einem Ruck herum. »Und Sie finden, das war’s wert?«
    »Ja, alles in allem war es das wert.«
    »War er auch der Meinung?«
    Resnick zögerte. »Ich glaube, ja. Aber ehrlich gesagt, weiß ich es nicht.«
    »Er hat nichts gesagt?«
    »Oh, er hat gejammert. Hat sich beklagt. Ich will nicht lügen, es gab Tage, da sagte er, er wollte, sie hätten ihn einfach sterben lassen; er wünschte, er wäre tot.«
    »Und trotzdem können Sie immer noch sagen, dass es richtig war? Dass er das alles durchmachen musste, das Leiden, die Schmerzen, den – Verlust an Würde. Für ein paar lumpige Monate!«
    Resnick trank von seinem Kaffee, nahm sich Zeit. »Es gab manches, was er noch sagen konnte, was wir einander sagen konnten. Ich glaube, das war wichtig.«
    »Für Sie, ja?«
    »Lynn, Sie müssen begreifen, auch wenn es noch so schwer ist, dass es nicht nur um ihn geht. Um Ihren Vater. Es geht auch um Sie. Um Ihr Leben. Wenn er – wenn er stirbt, ganz gleich, wann, müssen Sie einen Weg finden, damit zu leben. Und das werden Sie auch.«
    Jetzt weinte sie doch. Er trat zu ihr, und als er ihr die Hand auf die Schulter legte, lehnte sie sich kurze Zeit an ihn, so dass ihre Wange an seinem Arm ruhte.
    »Danke«, sagte sie dann und stand auf. Sie schnäuzte sich, wischte sich die Augen und trug die leeren Tassen und Teller in die Küche. »Wir sollten jetzt besser gehen«, sagte sie. »Es ist ja nicht so, dass wir nichts zu tun haben.«
     
    Cossall ging rauchend im Korridor auf und ab, es war seine fünfte oder sechste Zigarette an diesem Morgen. »Komm rein, Charlie. Das musst du hören.«
    Resnick ließ sich von Millington versichern, dass alles unter Kontrolle war, dann folgte er Cossall, der ihm unterwegs die Einzelheiten berichtete, zum Vernehmungsraum.
    Die Studentin Miriam Richards hatte am Weihnachtsabend als Aushilfe im Hotel bedient, Gelegenheitsarbeit, mit der sie ihr Stipendium aufbesserte. Ihr war einer der größeren Festräume zugewiesen worden, den sich an diesem Abend das gehobene Management eines Kaufhauses mit einer Gruppe von Zahnärzten, Zahnarzthelferinnen und Zahntechnikern teilte. Als Miriam um kurz

Weitere Kostenlose Bücher