Nebel ueber Oxford
ihrer Agentin Estelle Livingston gesprochen hatte, waren mehrere Wochen ins Land gegangen, und auch bei ihrem Verlagslektor Neil Orson hatte sie sich noch nicht wieder gemeldet. Seit einiger Zeit schon gingen ihr verschiedene Ideen im Kopf herum, und sie war sicher, dass sie eine davon zu einem neuen Bestseller verarbeiten konnte.
Jon saß aufrecht im Bett und las. Die schmale, schwarzrandige Lesebrille ließ ihn älter und ernster aussehen als sonst.
»Mir hat unser Wochenende mit den Brownes wirklich gefallen. Dir auch?«, erkundigte er sich.
»Deine Freunde sind sehr nett. Und Susie hat sich selbst übertroffen, als es darum ging, Kerri aus der Reserve zu locken.«
»Kerri hat sich wunderbar mit Freddie verstanden.«
»Ehrlich gesagt hat mich das überrascht.«
»Wieso? Freddie ist ein sehr liebenswertes Kind. Und dazu auch noch ausgesprochen intelligent.«
»Ja, er ist schon in Ordnung. Zu Beginn allerdings ist er mir doch ziemlich auf die Nerven gegangen – so begabt er auf dem Cello auch sein mag.«
»Warum musst du eigentlich immer an allem herumkritisieren, Kate?«
»Jetzt hör aber auf! Wie fandest du denn seinen Wutanfall, als seine Mutter ihn freundlich aufforderte, seine Möhren aufzuessen?«
»Das ist ein völlig normales Verhalten in seinem Alter.«
»Ich wusste gar nicht, dass du dich in solchen Dingen so gut auskennst.«
Halt, ermahnte sie sich. Kein Wort mehr. Wieso streiten wir uns eigentlich? Freddie ist schließlich nicht unser Kind. Uns kann es herzlich egal sein, ob er Wutanfälle hat oder nicht. Und es hat uns auch nicht zu kümmern, ob er seine Möhren isst.
»Aber du hast recht«, fuhr sie mit sanfter Stimme fort. »Der Spaziergang heute hat uns allen gut gefallen.«
»Schon möglich.«
Jetzt war Jon eingeschnappt.
»Und ich muss zugeben, dass Freddie sehr liebenswert sein kann.«
»Ich freue mich, dass du so denkst.«
»Und ich freue mich über die Einladung nach Südfrankreich«, fügte sie hinzu.
»Ja, das war wirklich nett.«
»Sag mal, ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?«
»Wieso?«
»Du bist doch sauer!«
»Ich wünschte, du würdest dich nicht so abfällig über kleine Kinder äußern.«
»Ich äußere mich nicht abfällig. Es gab sogar ein oder zwei Situationen, in denen ich Freddie richtig gern hatte. Mir fehlt einfach der Bezug zu Kleinkindern, wie ihn etwa Kerri hat.«
»Wenn du selbst ein Kind hättest, würde sich deine Einstellung schlagartig ändern.«
Es folgte eine Pause.
»Aber stell dir doch nur vor, ich würde genauso wenig empfinden wie bei Freddie. Stell dir vor, ich könnte das Kind nicht leiden und das Kind mich auch nicht. Trotzdem müssten wir mindestens achtzehn Jahre miteinander verbringen – nicht nur ein Wochenende. Das empfände ich wirklich als Tragödie.«
»Du bist unmöglich.«
Er legte sein Buch beiseite, knipste seine Nachttischlampe aus und wandte Kate den Rücken zu.
Schade, dass ein ansonsten so schöner Tag so enden muss, dachte sie.
Auch Gary und Susie unterhielten sich über das Wochenende. Freddie schlief in seinem Kindersitz.
»Der Besuch verlief angenehmer, als ich erwartet hatte«, sagte Gary.
»Ich wusste doch, dass du Jon und Kate mögen würdest. Und die junge Freundin wurde interessant, nachdem sie ein wenig aufgetaut war.«
»Du hattest recht: Es tat wirklich gut, einmal aus London herauszukommen.«
»Schon möglich.«
»Was ist los? Ich dachte, es hätte dir gefallen?«
»Ich verstehe nicht, wieso sich Kate Jon gegenüber so besitzergreifend verhalten musste. Er wollte sich offensichtlich mehr mit mir beschäftigen, aber sie wollte das einfach nicht wahrhaben. Wenn sie so weitermacht, ist sie ihn bald los.«
Gary lachte. »Du bist nur sauer, weil du nicht ertragen kannst, dass er dich nicht mehr so uneingeschränkt hofiert wie früher.«
»Gary!«
»Komm schon, Susie! Du wolltest ihm doch nur zeigen, auf was er alles verzichten muss, seit ihr euch getrennt habt. Gib zu, dass du dich ärgerst, dass es da draußen jemanden gibt, der dir widerstehen kann.«
Susie lachte nun ebenfalls. »Du kennst mich wirklich gut, Gary. Ich sehe es nun mal nicht gern, dass mein ehemaliger Besitz jetzt anderweitig okkupiert wird.«
»Nun ja, das ist meines Erachtens nicht weiter schlimm. Außerdem geht es mir genauso.« Er streckte die Hand aus und tätschelte ihren Oberschenkel.
»Jon und ich waren einmal richtig gute Freunde. Und das möchte ich nicht verlieren, auch wenn er jetzt eine neue Freundin
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