Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
Besucherstühle Platz. Zwischen ihm
und dem stets braun gebrannten Kriminaldirektor bestand eine abgrundtiefe
gegenseitige Abneigung.
Dr. Starke
unterließ es, Lüders Gruß zu erwidern. Er lehnte sich in seinem
Schreibtischsessel zurück, legte die Unterarme auf die Schreibtischkante und
musterte Lüder.
»Es gibt einen
ungeklärten Todesfall am Nord-Ostsee-Kanal mit merkwürdigen Begleitumständen.
Den werde ich mir ansehen.«
Der
Kriminaldirektor spitzte die Lippen. »Sie möchten den Fall begutachten«, betonte
er. »Gibt es eine formelle Anfrage der zuständigen Dienststelle? Itzehoe oder
Kiel?«, zählte er die beiden in Frage kommenden Inspektionen auf.
»Präventiv«, sagte
Lüder, ohne Dr. Starkes Fragen damit beantwortet zu haben.
»Dann warten wir,
bis mir ein entsprechendes Amtshilfeersuchen vorliegt oder sich die zuständige
Staatsanwaltschaft gemeldet hat.«
Mehr gab es nicht
zu sagen. Lüder wollte dem Kriminaldirektor weder seine Informationsquelle noch
die wenigen Anhaltspunkte, die bisher vorlagen, nennen. Und Dr. Starke
unterließ es, danach zu fragen. Er wollte sich nicht die Blöße geben, von Lüder
die Verweigerung der Antwort erdulden zu müssen. Es war ein offenes Geheimnis,
dass der Abteilungsleiter Lüder gern auf eine andere Dienststelle hätte
versetzen lassen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er sich solcher
Mittel bediente. Frauke Dobermann, die aus Flensburg nach Hannover fortgemobbt
worden war, war das wohl prominenteste Beispiel.
Lüder stand auf
und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. In seinem Büro schloss er die Tür,
kramte sein privates Handy hervor und wählte eine dort gespeicherte Nummer an.
Kurz darauf meldete sich eine Männerstimme mit einem satten, vollen Klang.
»Ja? Moin, Herr
Dr. Lüders. Wie geht's?«
»Danke, fast gut.«
Bevor Lüder sein Anliegen vortragen konnte, musste er seinem Gesprächspartner
auf dessen Nachfrage von seiner Familie und den Kindern berichten.
Lüder schmunzelte
in sich hinein und schloss für einen Moment die Augen. Deutlich sah er den
kräftigen Mann, der nur wenige Kilometer entfernt an seinem Schreibtisch mit
Blick auf die Kieler Förde saß, sich vermutlich mit der Hand durch den dichten
Vollbart strich, während ihm eine Strähne des schlohweißen Haares in die Stirn
fiel.
Als der
Ministerpräsident sein Amt antrat, hielten ihn viele für eine Übergangs- oder
gar Notlösung. Er hatte viel Spott ertragen müssen, sich aber politisch in
schwierigen Zeiten als der richtige Mann am richtigen Platz erwiesen.
Insbesondere seine Art, auf die Menschen zuzugehen, ihnen zu zeigen, dass er
einer von ihnen war, hatte ihm viele Sympathien eingebracht. Es störte ihn auch
nicht, dass er im Stil eines echten Landesvaters von den Bürgern fast immer mit
seinen beiden Vornamen genannt wurde.
Lüder hatte ihn
während seiner Zeit beim Personenschutz persönlich kennen- und schätzen gelernt
und danach einige Spezialaufträge ausgeführt, an deren Lösung der
Regierungschef ein besonderes Interesse hatte.
»Wir haben einen
Todesfall, der uns derzeit noch Rätsel aufgibt«, sagte Lüder und erläuterte in
wenigen Worten die Fakten, die bisher bekannt waren. »Wenn es sich wirklich um
einen amerikanischen Staatsbürger handelt, wäre es sinnvoll, wenn wir vom LKA einen Blick auf den Fall werfen. Ich erinnere an
frühere Ereignisse, bei denen die Zusammenarbeit mit den Amerikanern nicht sehr
erfreulich war. Wenn wir Sensibilität walten lassen, machen wir bestimmt nichts
falsch.«
Ein dröhnendes
Lachen drang aus dem Hörer. »Ich frage mich immer wieder, Herr Dr. Lüders,
warum Sie mit Ihrer Art zu argumentieren Beamter geblieben und nicht in die
politische Laufbahn eingestiegen sind.«
Lüder unterdrückte
die Antwort, dass er Politik in vielen Fällen für ein schmutziges Geschäft
hielt. Aber der Ministerpräsident fragte nicht nach und wollte keine weiteren
Erklärungen hören.
»Ihr Dingsbums …«, sagte der Regierungschef.
»Richtig«,
bestätigte Lüder. »Der Dingsbums, Kriminaldirektor Dr. Hemmschuh.«
»Ich kümmere mich
darum«, sagte der Ministerpräsident. »Übrigens, wenn ich demnächst in Pension
gehe, müssen Sie mich mit Ihrer Familie einmal besuchen. Mich, meine Frau und
meine Bienen. Den Weg kennen Sie ja, mitten im Wald …«
Lüder versprach
es. Als er aufgelegt hatte, dachte er mit einem Hauch Wehmut, dass es für ihn
eine andere, sicher nicht bessere Zeit geben würde, wenn der
Weitere Kostenlose Bücher