Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
geben, weshalb Sie ihn betreuen? Oder ist
das eine private Beziehung?«
»Um Gottes willen«, wehrte Frau Wolffsohn ab. »Ich sagte schon, dass
meine Besuche in der Lornsenstraße dienstlicher Natur sind.«
»Der Mann erschien uns – nun ja – ein wenig sonderbar.«
Sie sah Christoph nachdenklich an, bevor ihr Blick woanders
hinwanderte. »Ich kann Ihnen versichern, dass er im Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte ist.«
»Daran zweifeln wir nicht. Dennoch weicht sein Verhalten von dem
anderer Menschen ab.«
»Ich verstehe nicht, weshalb Sie sich für Herrn Kruschnicke
interessieren, wenn Sie eine Störung der Totenruhe untersuchen«, wandte die
Frau ein.
»Es ist eine besonders üble Art der Grabschändung«, erklärte
Christoph. »Nun untersuchen wir das persönliche Umfeld, in dem Dr. Pferdekamp
sich bewegt hat. Bisher sind wir dabei nur auf Herrn Kruschnicke gestoßen. Da
der mit dem Verstorbenen nicht verwandt ist, wundern wir uns ein wenig. Er ist
Erbe, versorgt das Grab, ist nicht berufstätig. Was hat Herr Kruschnicke früher
gemacht?«
Sie spielte mit ihrem Schreibwerkzeug. Fast beiläufig sagte sie:
»Nichts.«
»Aha. Dann ist Holger Kruschnicke der reiche Erbe, und Dr.
Pferdekamp hat sich in das gemachte Nest gesetzt.« Große Jäger war anzumerken,
dass ihn die zurückhaltende Art der Mitarbeiterin der Kreisverwaltung nervte.
»Ihre Vermutung ist falsch. Nach meinen Informationen ist Herr
Kruschnicke nie einer Beschäftigung nachgegangen. Er stand immer in der Obhut
Dr. Pferdekamps.«
»Hatten die beiden ein sexuelles Verhältnis?«
Frau Wolffsohn betrachtete intensiv ein Kalenderblatt an der
Bürowand. Es wirkte, als hätte sie es soeben neu entdeckt. Dann holte sie tief
Luft.
»Rechtlich gibt es keine Definition. Ich würde sagen, Herr
Kruschnicke war eine Art Ziehsohn.«
»Der muss doch eine Vergangenheit haben.« Große Jäger beharrte auf
einer weitergehenden Erklärung. »Dr. Pferdekamp wird ihn nicht in einem
Korb im Uferschilf der Eider gefunden haben.«
Für diesen Vergleich erntete der Oberkommissar einen bösen Blick der
Frau.
»Spielen wir mit offenen Karten«, mischte sich Christoph wieder ein.
»Gesund wirkt Herr Kruschnicke auf mich nicht.«
»Menschen sind ein kompliziertes Gebilde. Die Wissenschaft arbeitet
seit Jahrtausenden an der Erforschung des Homo sapiens. Und viel wissen wir
noch nicht über uns.«
»Es gibt Erkrankungen, die nicht den Körper, sondern die Seele
erfassen«, tastete sich Christoph vor.
»Vielleicht haben Sie recht.«
Es klang vage. Um zu unterstreichen, dass sie keine Geheimnisse
verraten wollte, untermalte Frau Wolffsohn ihre Antwort mit einer abweisend
wirkenden Geste.
»Ist Herr Kruschnicke in ärztlicher Behandlung?«
»Das geht jetzt zu weit«, wies sie Christophs Frage entschieden
zurück.
»Wenn er bereits früher unter der Erkrankung litt und von Dr.
Pferdekamp betreut wurde, hat sich nach dessen Tod eine neue Situation ergeben.
Und dann sind Sie ins Spiel gekommen. Oder hatten Sie schon früher Kontakt zu
Holger Kruschnicke?«
»Ich bin Herrn Dr. Pferdekamp nie persönlich begegnet«, wich
Frau Wolffsohn aus.
»Wer hat Sie auf die besondere Situation Kruschnickes aufmerksam
gemacht?«
Die Frau spielte wieder mit ihrem Kugelschreiber. »Solche Fälle sind
die Aufgabe unseres Amts.«
»Hat Kruschnicke einen amtlich bestellten Betreuer, so etwas, das
man früher Vormund nannte?«, fragte Große Jäger.
»Haben Sie so etwas?«, fragte Frau Wolffsohn spitz zurück. »Weshalb
sollte es so etwas geben? Ich betone noch einmal.« Dabei klopfte sie mit dem
Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte. »Herr Kruschnicke ist ein Bürger wie
Sie und ich.«
»Gab es – außer Holger Kruschnicke – noch weitere Erben?
Hat jemand Ansprüche geltend gemacht?«
»Das ist mir nicht bekannt. Dazu sollten Sie den Notar befragen, der
seinerzeit die Angelegenheit geregelt hat. Das war die Kanzlei Hansen &
Hansen am Marktplatz.«
»Haben Sie jemals etwas über Dr. Pferdekamp gehört?«
»Es war nie meine Aufgabe, diesbezügliche Erkundigungen einzuziehen.
Offenbar haben die beiden Herren ruhig und zurückgezogen gelebt. Jedenfalls
habe ich nicht einen sozialen Kontakt feststellen können, der nach dem Tod des
alten Herrn hätte weiter gepflegt werden können.«
»Das bedeutet, dass Holger Kruschnicke völlig auf sich gestellt in
dem Haus wohnt und sein ganzer Lebensinhalt darin besteht, das Grab zu
pflegen?«
»So könnte man es
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