Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
Die hatten im Jahr nach Kriegsende geheiratet, und es war ein
notdürftig vergoldeter Gardinenring. Der Marktwert dürfte gegen null tendieren,
aber für die Betroffene ist es ein unersetzlicher Verlust. Das ist der alten
Dame mächtig an die Nieren gegangen. Überhaupt … Die Bürger fühlen sich
verunsichert. Es ist nicht nur der Diebstahl an sich, viel schwerer wiegt der
Schock darüber, dass ein Fremder in die eigenen vier Wände eingedrungen ist.
Manche finden keine Nachtruhe mehr oder trauen sich nicht, das Haus zu verlassen.«
»Die Täter sind stets über Baugerüste eingestiegen«, sagte
Christoph. Die beiden Mitarbeiter nickten einträchtig. »Habt ihr –«, fuhr
er fort, wurde aber sofort unterbrochen.
»Sicher haben wir. Es handelt sich in allen Fällen um dieselbe
Gerüstbaufirma. Ein alteingesessener Familienbetrieb aus Viöl.«
»Gibt es noch mehr Übereinstimmungen?«
Jetzt nickte der zweite Beamte. »Ja. In drei der vier Fälle sollten
neben Arbeiten an der Fassade an den Fenstern und Balkonen Malerarbeiten
ausgeführt werden. Auch in diesen Fällen war es derselbe Auftragnehmer, ein
Malermeister aus Schwesing.«
»Dann solltet ihr dieser Spur nachgehen. Viel Zeit haben wir nicht.
Die Menschen da draußen warten auf Erfolge.«
»Das ist zutreffend«, bestätigte einer der Beamten. »Heute hat sich
ein Hausverwalter bei uns gemeldet und gefragt, ob er die geplanten Arbeiten an
einem von ihm gemanagten Wohnobjekt lieber zurückstellen soll.«
»Im schlimmsten Fall kommt zur Verunsicherung der Bürger auch noch
hinzu, dass unbescholtene Handwerker in Verruf geraten und Aufträge verlieren.
Wir sollten die Sache mit aller Macht verfolgen. Braucht ihr Unterstützung?«
»Bloß nicht Große Jäger«, lachte ein Beamter und versicherte, dass
das Team weiter an der Aufklärung arbeiten würde.
Eine halbe Stunde später kam der Oberkommissar zurück. Christoph
sah ihm schon beim Eintreten den Frust an. Er hatte noch nicht Platz genommen,
als er zu schimpfen begann.
»Alle wussten, dass die beiden Männer dort wohnten. Viele sind der
Meinung, dass es ein merkwürdiges Paar gewesen ist.«
»Paar?«
»Nein, es wurde zwar viel gemunkelt, aber konkrete Anhaltspunkte
dafür gab es nicht. Wenn die beiden ein Paar waren, ist es so diskret
abgelaufen, dass es keiner mitbekommen hat. Außerdem hat nie jemand beobachtet,
dass Besucher bei den beiden waren. Die müssen über Jahrzehnte in völliger
Abgeschiedenheit gelebt haben. Seitdem Pferdekamp tot ist, sieht man
Kruschnicke nur noch ganz selten. Er verlässt das Haus nur zum Einkaufen.«
»Gibt es eine Putzfrau oder so was?«
Es krachte, als der Oberkommissar seine Füße in die Schublade fallen
ließ.
»Mir ist zwar kein Schild aufgefallen, aber es muss ein virtuelles
gegeben haben: Frauenverbotszone.«
»Immerhin verkehrt Frau Wolffsohn vom Betreuungsamt dort.«
»Es ist immer wieder erstaunlich, was die Leute in kleineren Städten
über ihre Nachbarn wissen. Es scheint so, als würde die Frau mit einem
quietschgelben Auto vorfahren, auf dem ›Kreisverwaltung für Hilfsbedürftige‹
steht. Sie selbst trägt einen pinkfarbenen Overall mit der Aufschrift
›Dachschadenbetreuer‹. Das zumindest wissen die
Nachbarn, dass Kruschnicke nicht ganz richtig im Oberstübchen ist. Definitiv,
wie mir einer versicherte.«
»Bei vielen Menschen ist es noch nicht angekommen«, warf Christoph
ein, »dass eine seelische Erkrankung keine Geisteskrankheit ist.«
»Das sind die, die den Unterschied zwischen einem Psychiater und
einem Psychologen nicht kennen, geschweige denn das Wort schreiben können.«
Große Jäger sah sich um. Sein Blick blieb bei der ausgeschalteten
Kaffeemaschine auf der Fensterbank haften. »Mich wundert, dass Dr. Pferdekamp
in der Lornsenstraße gewohnt hat. Markt oder Woldsenstraße wären doch
angemessener gewesen.«
Christoph sah Große Jäger ratlos an.
»Da sind Kirchen. Der Mann muss ein Heiliger gewesen sein. In einem
normalen Wohnhaus war der doch deplatziert.«
Christoph berichtete, was er in der Zwischenzeit herausgefunden
hatte.
»Bisher haben wir noch niemanden gefunden, der etwas Kritisches über
den Toten erzählt hat. Warum wurde sein Grab geschändet? Er schien nicht nur
ein untadeliger Arzt gewesen zu sein, sondern auch gutmütig. Wie nannte die
Frau von der Kreisverwaltung das Verhältnis zwischen den beiden? Kruschnicke
war der Ziehsohn.«
»Dann war er ein jugendlicher Vater«, wandte Große Jäger ein
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