Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
Hansen musterte Große Jäger. In seiner Mimik zeichnete sich
ab, dass er sich Gedanken über das sonderbare Äußere des Polizisten in
Christophs Begleitung machte.
»Nein. Für den Erbberechtigten sind wir nie tätig gewesen. Und für
Dr. Pferdekamp hat unsere Kanzlei nur in wenigen Angelegenheiten
gearbeitet.«
»Können Sie uns etwas über Ihren Mandanten sagen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wir möchten nicht Ihre anwaltschaftliche Schweigepflicht
herausfordern«, beruhigte ihn Christoph. »Uns wäre nur daran gelegen, etwas
über die Person zu erfahren. Dr. Pferdekamp gleicht einem Phantom. Niemand
weiß etwas über den Menschen. Schließlich war er in etwa in Ihrem Alter.«
Jes Hansen warf einen Blick in die Akte.
»Ungefähr kommt das hin«, sagte er mit einem versonnenen Lächeln und
ließ offen, ob er jünger oder älter war. »Und nicht nur die Weisheit des Alters
gebietet mir, das Gespräch an dieser Stelle abzubrechen.«
Nach der Verabschiedung bestand Große Jäger darauf, etwas für
sein leibliches Wohl tun zu müssen.
»Möchtest du, dass ich auf der Stelle umfalle?«
Er lenkte seine Schritte zum nahen Husumer Kaufhaus, das in seiner
wechselvollen Geschichte schon Karstadt und Hertie beherbergt hatte, und aß im
Stehen ein Brötchen mit Burgunderbraten.
Erst nachdem er am Nachbarstand zusätzlich eine »Riesencurrywurst«
mit Pommes rot-weiß draufgelegt hatte, war er dazu zu bewegen, den Rückweg
anzutreten. Am Ende des Schlossgangs blieb er plötzlich stehen.
»Ich will noch einmal die Nachbarn in der Lornsenstraße befragen.
Irgendjemand muss uns doch etwas über den geheimnisvollen Dr. Pferdekamp
sagen können.«
»Zu Fuß?«, fragte Christoph erstaunt.
»Du wirst mich kaum dorthin tragen«, knurrte Große Jäger und bog
nach rechts ab, dabei angelte er aus den Tiefen seiner Jeans die zerknitterte
Zigarettenpackung hervor.
Christoph durchquerte erneut den Schlosspark, um zu seinem Volvo
zurückzukehren, und dachte mit ein wenig Wehmut daran, dass dies früher oft
sein Arbeitsweg gewesen war, als er noch im Dachgeschoss bei der inzwischen
verstorbenen alten Dame in der Berliner Straße wohnte.
Nachdem er seinen Wagen abgeholt hatte, kehrte er zur Dienststelle
in die Poggenburgstraße zurück.
Zunächst rief er bei der Ärztekammer des Landes in Bad Segeberg an.
Dort erhielt er die Information, dass Dr. Pferdekamp seine Praxis in
Garding an eine Frau Krempl übergeben hatte. Es bedurfte zudem Christophs
ganzer Überredungskunst, bis ihm der Mitarbeiter der Ärztekammer versicherte,
dass Dr. Pferdekamp seinen Beruf untadelig ausgeführt hatte. Gegen den
ehemaligen Arzt waren nie Beschwerden vorgetragen worden. Der Kammer war zudem
nicht bekannt, dass irgendwann einmal der Vorwurf eines Behandlungsfehlers
erhoben worden war.
Christoph suchte sich die Telefonnummer in Garding heraus und erfuhr
durch eine Frauenstimme auf einem Anrufbeantworter, dass derzeit keine
Sprechstunde sei. Die Stimme bat, es erneut am Nachmittag ab fünfzehn Uhr zu
versuchen.
Anschließend nahm er Kontakt zur Redaktion der Husumer Nachrichten
auf und sprach mit dem verantwortlichen Mitarbeiter der Kreisredaktion. Auch
hier wurde ihm bestätigt, dass seitens der Presse nie etwas über Dr. Hasso
Pferdekamp bekannt geworden war. Dass der Journalist bei seinem Rückruf
sorgfältig im Archiv recherchiert hatte, erkannte Christoph daran, dass er
Zeitungsberichte über Dr. Pferdekamp zitierte, in denen davon berichtet
wurde, dass ein verdienstvoller und beliebter Mediziner nach Jahrzehnten in den
Ruhestand gegangen war und seine Praxis an eine junge Nachfolgerin übergeben
hatte.
»Noch ältere Artikel kann ich nicht finden. Reicht ein Zeitraum von
einem Vierteljahrhundert?«, fragte der hilfsbereite Zeitungsmann.
Christoph nutzte die Zeit bis zur Rückkehr des Oberkommissars, um
mit zwei Mitarbeitern über die Einbruchserie zu sprechen, die Husum seit
geraumer Zeit verunsicherte.
»Uns ist aufgefallen«, erklärte einer der Beamten, »dass in den
jetzt vier vorliegenden Fällen die Täter immer über Baugerüste eingestiegen
sind. Die Beute war in allen Fällen nicht spektakulär, immer nur zwischen ein
paar Euro bis zu – in einem Fall – knapp über eintausend. Außerdem
haben die Diebe Schmuck gestohlen. Auch hier waren es keine besonders
exklusiven Stücke, aber für die Bestohlenen waren sie von unschätzbarem
persönlichem Wert. In einem Fall handelte es sich um den Ehering des verstorbenen
Mannes.
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