Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
sieben Jahre vor seinem Tod aufgehört zu
praktizieren. Das war vor neun Jahren. Das klingt unwahrscheinlich. Wer lässt
sich mit seiner Rache so lange Zeit? Und wenn das ein Motiv sein sollte, dann
hätte man es am lebenden Dr. Pferdekamp vollzogen, nicht am toten.«
»Hast du eine bessere Idee?«
Die konnte Christoph nicht vorweisen. Noch wussten sie zu wenig.
»Und wenn der Täter aus dem privaten Umfeld kam?«
»Nach Auskunft der Nachbarn schien Pferdekamp sehr zurückgezogen gelebt
zu haben.«
»Was kann man auf solche Auskünfte geben? Sind die objektiv?
Außerdem gibt es diesen eigentümlich auftretenden Holger Kruschnicke. In
welcher Verbindung steht der zu Pferdekamp?«
»Auf mich machte der Mann nicht den Eindruck, gesund zu sein«, gab
Große Jäger zu bedenken.
»Das ist Lenny Lennartz auch nicht. Aber im Unterschied zu dem
freundlichen jungen Mann scheint mir Kruschnicke eher an der Seele krank.«
»Bist du unter die Hobbypsychologen gegangen?«, spottete der
Oberkommissar.
Christoph antwortete nicht, sondern startete den Motor und fuhr
parallel zur Innenstadt an der Bürgerschule vorbei, in der die kleine Lisa Dahl
Schülerin gewesen war. Es war jetzt acht Jahre her, dass er sich mit dem
Verschwinden des kleinen Mädchens und von dessen Mutter auseinandersetzen
musste und damit seinen Einstand in der damaligen Polizeiinspektion Husum
hatte.
Was war in der Zwischenzeit nicht alles geschehen? Hannes Grothe war
seinerzeit Polizeichef gewesen. Inzwischen war der beliebte Polizeidirektor
schon ein paar Jahre tot. Harm Mommsen, damals Nachwuchskraft, war heute
Kriminalrat und Leiter der Kripo in Ratzeburg. Christophs Ehe war gescheitert,
und seit einem Jahr war er zum zweiten Mal verheiratet. Aus der
Polizeiinspektion war eine Direktion geworden, die jetzt
Auflösungserscheinungen zeigte, formell zwar immer noch Polizeidirektion Husum
hieß, aber vom Leiter der Flensburger Direktion mit verantwortet wurde.
Kriminaldirektor Nathusius, Grothes Nachfolger, hatte sich als menschlicher
Glücksgriff erwiesen, bis er wieder versetzt wurde. Nur wir beide, dachte
Christoph und warf seinem Nachbarn einen Seitenblick zu, sind die Alten
geblieben. Aber älter sind wir geworden.
»Ist was?«, fragte Große Jäger.
»Nö. Nichts.«
Zur Rechten lag das »Schloss vor Husum«, das früher in einem eher
heruntergewirtschafteten Zustand die Kreisverwaltung beherbergt hatte. Nach der
Restaurierung hatte der Turm wieder eine Spitze bekommen, der Garten innerhalb
des umringenden Wassergrabens war mustergültig angelegt worden, und im Inneren
waren die hergerichteten Räume zu besichtigen, wenn der Rittersaal nicht für
kulturelle Veranstaltungen genutzt wurde. Auch das alte Torhaus war eine
Augenweide.
Christoph bog in die Neustadt ab, eine Straße, die diesen Namen
trug. Hier reihte sich eine Kneipe an die nächste. Manchem Bürger war dieses
Viertel bei Dunkelheit suspekt, und die Kollegen von der Schutzpolizei wurden
dort öfter als anderswo zu Einsätzen gerufen.
Auf dem Gelände des ehemaligen Viehmarktes war das Haus der »neuen«
Kreisverwaltung entstanden. Christoph parkte auf den Besucherplätzen und fragte
sich zum »Fachbereich Jugend, Soziales, Arbeit und Senioren« durch, zu dessen
Untergliederung, dem »Fachdienst Soziales und Senioren«, bis sie schließlich
beim »Betreuungsamt« angekommen waren.
»Muss Verwaltung so kompliziert sein?«, fragte Große Jäger mürrisch.
»Kein Wunder, dass der Kreis der größte Arbeitgeber in Nordfriesland ist.«
»Stell dir vor, wir wären auch Beamte«, lästerte Christoph.
Wie zufällig glitt die Hand des Oberkommissars zu der Stelle, an der
er seine Dienstwaffe trug. »Dann würde ich mich erschießen.«
Schließlich saßen sie Frau Wolffsohn gegenüber. Eine resolute, aber
durchaus aparte Erscheinung, die Christoph auf etwa fünfzig Jahre schätzte.
Die Sachbearbeiterin bestätigte, dass sie Holger Kruschnicke kannte
und den Mann sporadisch aufsuchte.
»Amtlich«, fügte sie an, um keine Missverständnisse aufkommen zu
lassen.
»Weshalb betreuen Sie Herrn Kruschnicke?«
Sie drehte ihren Kugelschreiber auf der Schreibtischplatte. »Das
kann ich Ihnen nicht verraten.«
»Ist er entmündigt? Das heißt, nicht geschäftsfähig. Wir wissen,
dass er als Bevollmächtigter für eine Grabstätte auf dem Ostfriedhof
eingetragen ist.«
»Wer sagt so etwas? Herr Kruschnicke hat die gleichen Rechte und
Pflichten wie Sie und ich.«
»Es muss doch einen Grund
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