Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
beschreiben.« Obwohl Frau Wolffsohn sich bemühte,
professionell zu klingen, schwang eine Spur Resignation in ihrer Stimme mit.
»Das ist doch kein Leben«, fuhr Große Jäger dazwischen. »Was hat
dieser Mensch in all den Jahren gemacht?«
»Tja«, war alles, was die Frau dazu anzumerken hatte.
Wenig später standen die beiden Beamten wieder auf der Straße.
Christoph entlockte es jedes Mal ein Schmunzeln, dass ein Teil des
Gebäudekomplexes des Kreishauses tatsächlich einem Kreis entsprach. Zu dieser
Seite hin lagen die Parkplätze, auf denen Christoph seinen Volvo abgestellt
hatte, dahinter war der Hubschrauberlandeplatz für das nahe Klinikum angelegt.
»Wir sollten den Notar aufsuchen«, schlug Christoph vor und ging am
Parkplatz vorbei.
»Du willst den ganzen Weg zu Fuß zurücklegen?«, beklagte sich Große
Jäger.
»Das sind keine achthundert Meter. Außerdem gibt es keine Parkplätze
im Zentrum.«
»Mensch«, stöhnte der Oberkommissar. »Wo kann ich einen Antrag auf
Erschwerniszulage einreichen?«
Ihr Weg führte sie am Käthe-Bernhardt-Haus vorbei, einer vor nicht
langer Zeit erbauten Pflege- und Wohnanlage für Senioren. Zwei alte Damen standen
auf ihren Balkonen und führten ein lautstarkes Schwätzchen, das nicht nur
munter, sondern auch fröhlich klang. Große Jäger betrachtete die beiden
nachdenklich.
»Wenn man dagegen das Eremitendasein Kruschnickes betrachtet. Da ist
es nicht verwunderlich, dass der so sonderbar ist.«
Sie schenkten dem Wasserturm, dessen Aussichtsplattform seit Langem
wegen Verletzungsgefahr gesperrt war, keine Beachtung und nutzten die
unscheinbare Pforte, um in den Schlosspark zu gelangen. Im Schlossgang warf
Christoph einen Seitenblick auf das Gebäude, in dem Dr. Hinrichsen seine
Praxis betrieb. Dort war seine Frau Anna als Sprechstundenhilfe beschäftigt.
»Da musst du jetzt nicht hinein. Sei froh, dass du deiner Chefin
erst heute Abend wieder begegnest.« Große Jäger schien erneut seine Gedanken
erraten zu haben.
Am Ende der Fußgängerzone des Schlossgangs durchquerten sie den
Torbogen des alten Rathauses und fanden sich im Herzen Husums am Marktplatz
wieder. In der Mitte des Platzes stand der Brunnen mit dem Denkmal der Tine,
einer Fischersfrau. Der Marktplatz wurde von der Marienkirche begrenzt, dem
Hauptwerk des Klassizismus in Schleswig-Holstein, in dem ein weit über die
Grenzen der Stadt hinaus bekannter Kantor wunderbare Konzerte arrangierte. Der
Marktplatz wurde durch ein Ensemble alter Bürgerhäuser eingerahmt.
In der ersten Etage des alten Rathauses hatte die Kanzlei Jes &
Momme Hansen ihre Räume.
Ein Mann im dunkelblauen Anzug und mit korrekt gebundener silberner
Krawatte begegnete ihnen im Flur. Er hatte volles silbernes Haar.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er freundlich.
»Polizei Husum«, erklärte Christoph. »Wir hätten gern ein paar
Informationen zu einer Erbschaftsangelegenheit. Dr. Pferdekamp.«
»Daran kann ich mich nicht erinnern«, sagte der freundliche Mann.
»Das muss mein Vater gewesen sein. Wenn Sie einen Augenblick warten würden?«
Nachdem er verschwunden war, unterdrückte Große Jäger ein Glucksen.
»Der war doch bestimmt sechzig. Wo praktiziert denn der Vater? Gleich neben
Pferdekamps Grab?«
Sie hatten Glück, dass der Senior Zeit für sie hatte. Jes Hansen
ähnelte seinem Sohn, nur dass der Generationsunterschied deutlich zu erkennen
war. Die Gestalt des alten Notars war gebeugt.
»Oh ja«, sagte er. »Ich müsste in die Akte sehen. Aber an den Namen
kann ich mich erinnern.«
Er rief jemanden in der Kanzlei an und bestellte die Unterlagen, die
kurz darauf von einer Mitarbeiterin gebracht wurden.
Der Notar suchte auf seinem alten, schweren Schreibtisch nach seiner
Brille, wählte eine von mehreren aus und blätterte in der Akte.
»Ja, ich erinnere mich«, sagte er. »Das war eine Erbschaft. Der
Vorgang war unkompliziert, weil es zuvor ein Testament gab. Das war«, er
blätterte weiter, »schon ein Vierteljahrhundert früher aufgesetzt worden und
bestimmte den Erbberechtigten …«
»Holger Kruschnicke«, warf Christoph ein.
»Genau. Der war Alleinerbe des beweglichen und unbeweglichen
Vermögens des Erblassers.«
»Wie hoch war das?«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Notars. Dann legte er den
Zeigefinger auf die Lippen.
»Ansehnlich.« Mehr verriet er nicht.
»Haben Sie sonst Interessen für Herrn Dr. Pferdekamp oder Herrn
Kruschnicke wahrgenommen?«, fragte Christoph.
Notar
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