Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
Rolle
behagte.
»Aber wieso?«, fragte Christoph. »Arzt ist Arzt.«
»Wir haben gute Ärzte hier in Garding«, mischte sich die Zweite ein
und beugte sich vor, um etwas von Große Jägers Leiden mitzubekommen. »Halskrebs
haben Sie?«, traute sie sich schließlich. »Davon habe ich noch nie gehört.«
Große Jäger legte seinen Zeigefinger an das linke Ohrläppchen und
zog ihn in einer schrägen Linie bis unter die rechte Achselhöhle.
»Hierüber zieht es«, klagte er.
»Haben Sie schlechte Erfahrung mit Frau Dr. Krempl gemacht?«,
fragte Christoph.
»Sie ist ja gar kein Arzt. Die heißt nur Krempl. Wer so’n Namen hat.
Und taugen tut die auch nix.«
»Woher wissen Sie das?«, blieb Christoph hartnäckig.
»Das weiß doch jeder hier.«
»Und wer sagt das?«
»Na – alle.«
Christoph kratzte sich den Haaransatz, als hätte er es nicht
verstanden.
»Das kann doch nicht sein. Da kann doch nicht das ganze Dorf schon
Patient bei der Ärztin gewesen sein.«
»Wir sind kein Dorf, sondern eine Stadt«, empörte sich die
»Gallenblase«. »Braucht auch nicht. Das hat schon der Dr. Pferdekamp
gesagt, dass die nichts taugt.«
»Dr. Pferdekamp – so. Wo hat der denn seine Praxis?«,
fragte Christoph.
»Na, das war doch der Vorgänger von der Krempl. Der hatte schwer was
auf dem Kasten. Zu dem konnten Sie immer gehen. Mit allen Problemen. Der hat
immer gleich gewusst, was Ihnen fehlt. Ratzfatz. Aber die …«
»Der ist doch sicher schon eine Weile tot, der Dr. Pferdekamp.«
»Macht nichts. Hat er damals gesagt, als er noch lebte.«
Die Erste stopfte sich noch einmal Torte in den Mund, bevor sie
sprach. »Schade, dass der aufgehört hat, unser alter Doktor. Der wollte gar
nicht. Musste aber. Da gibt es so ’ne Bestimmung, dass Ärzte irgendwann in
Rente müssen. Mensch, der war ganz schön sauer.«
»Dann konnte er doch froh sein, dass er die Praxis an jemanden
übergeben konnte.«
»Ach«, winkte die »Gallenblase« ab. »Das ist es ja. Die hat ja
nichts bezahlt. Und dann ist sie das bisschen auch noch schuldig geblieben.
Aber – wie gesagt. Das hat der Dr. Pferdekamp schon vorher erzählt.«
Christoph rückte ein wenig dichter an die Frauen heran und senkte
seine Stimme. »Und was gibt es an dem alten Doktor zu nörgeln? Mal ganz im
Vertrauen – unter uns Pastorentöchtern.«
»Ja, ich weiß nicht«, druckste die Dritte herum und sah ihre beiden
Freundinnen an. »Nun sagt doch auch mal was«, forderte sie die beiden anderen
schließlich auf.
»Nichts. Reinweg gar nichts«, bestätigte schließlich die
»Gallenblase«.
»Wenn Dr. Pferdekamp nicht mit Frau Krempl zufrieden war, warum
hat er die Praxis nicht seinem Sohn übergeben?«
»Seinem Sohn?« Wie aus einem Mund stellten gleich zwei Frauen die
gleiche Frage.
Christoph nickte ernst.
Die Frauen sahen sich ratlos an. »Der hatte doch keinen. Nicht dass
wir wüssten.«
»Konnte seine Frau keine Kinder kriegen?«
»Er war auch nicht verheiratet.«
»Keine Freundin? Ein kleines Techtelmechtel in der Stadt? Der war
doch bestimmt keine abstoßende Erscheinung.«
»Da war nie was.«
»Hmh.« Christoph tat, als würde er überlegen. Anschließend öffnete
er mehrfach den Mund, ohne zu sprechen. Es wirkte, als fiele es ihm schwer, die
nächste Frage zu stellen.
»Kann es sein«, wisperte er schließlich, »dass Dr. Pferdekamp
sich nicht für Frauen interessierte, sondern für Männer?«
»Männer? Sie meinen ein … äh … Homo?«, fragte die
»Gallenblase«. Deutlich war ihr der Zorn anzumerken, der sie erfasst hatte.
»Das ist doch eine Frechheit, so eine Behauptung. Mensch, der Mann war Arzt!«
Christoph unterließ es, darauf zu antworten.
»So einer war der nicht, ganz bestimmt nicht. Das merkt man doch«,
behauptete die Erste.
Sie wurden durch die Bedienung unterbrochen, die zwei Cappuccino und
ein großes Stück Torte für Große Jäger brachte. Genussvoll begann der
Oberkommissar mit dem Verzehr.
»Dem geht’s aber ganz fix wieder was gut«, sagte die Erste.
»Das liegt daran, dass meine Gameten wieder im Gleichgewicht sind«,
erklärte Große Jäger und widmete sich voller Hingabe seinem Kuchen.
»Dann kann das mit dem Halskrebs nicht so schlimm sein«, hörte
Christoph vom Nebentisch. »Mein Knie hingegen. Morgens, wenn ich aufstehe …«
Die beiden Beamten wechselten das Thema und sprachen über die
herbstlichen Witterungsbedingungen an der Nordseeküste und die achtzehn Kirchen
auf Eiderstedt, zum größten
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