Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
den Wangen.
»Ich habe noch eine letzte Frage«, sagte Christoph. »Kennen Sie
Holger Kruschnicke?«
»Nein. Nie gehört. Wer soll das sein?«
»Noch eine weitere Frage«, fuhr Christoph fort, ohne ihre Frage zu
beantworten. »Was für ein Auto fahren Sie?«
Es war ein resignierendes Lachen, das Frau Krempl von sich gab.
»Das war gut. Ich habe Probleme, für meinen Sohn und mich notdürftig
die Versorgung sicherzustellen. Ärzte, so können Sie überall hören, sitzen
jeden Abend vor einem reich gedeckten Tisch mit Kaviar und Champagner. Uns
beiden, meinem Sohn und mir, stehen die Nudeln und Eierravioli aus der Dose bis
hier.« Sie zeigte mit der Hand bis zur Unterlippe. »Mehr liegt nicht drin.«
Wenig später standen sie wieder auf der Straße.
»Das war ein erfolgreiches Gespräch«, sagte Große Jäger zufrieden.
»Das war der erste Kratzer auf dem Heiligenschein des Toten.«
»Die Ärztin erweckt nicht den Eindruck, als würde sie nachts zum
Friedhof fahren und das Grab schänden, auch wenn sie Dr. Pferdekamp für ihr
Schicksal verantwortlich macht. Vielleicht sieht sie alles im falschen Licht.«
»Es ist nicht gesagt, dass sie die Tat in Husum selbst ausgeübt hat.
Sie könnte auch einen Helfer gehabt haben.«
»Dann wollen wir uns in Garding umhören, ob wir Leute treffen, die
uns ›Volkes Meinung‹ über Dr. Pferdekamp und seine Nachfolgerin
vortragen«, schlug Christoph vor.
»Danke für die Einladung«, sagte Große Jäger grinsend, weil er
wusste, dass Christoph ein Café aufsuchen wollte.
Das Café, das gleichzeitig Bistro war, lag direkt neben dem Rathaus.
Ein Stellschild verkündete, dass es einen täglich wechselnden Mittagstisch gab.
Christoph sah, wie ein Leuchten in Große Jägers Augen trat. Der Eingang, zu dem
ein paar Stufen hinaufführten, wurde von zwei Rosenstöcken gesäumt, wie sie oft
in den Orten der Region anzutreffen sind.
An einem Tisch saßen drei wohlbeleibte ältere Frauen, denen die
Zufriedenheit anzusehen war. Sie hatten jede ein großes Stück Sahnetorte vor
sich stehen und waren eifrig damit beschäftigt, die Kalorienbomben in sich
hineinzuschaufeln.
Christoph stieß Große Jäger an und wies unmerklich auf den
Nachbartisch. Sie hatten kaum Platz genommen, als sie unfreiwillig in das
Gespräch der Frauen einbezogen wurden. Eine mit Doppelkinn und kräftiger
Oberweite griff mit spitzen Fingern zur Kaffeetasse, führte sie an den Mund,
nahm ein Schlückchen – Schluck konnte man es nicht nennen – und
setzte die Tasse wieder ab.
»Ich trinke nur noch koffeinfreien Kaffee. Das bekommt meinem Herzen
besser. Und der Magen kann Bohnenkaffee auch nicht mehr gut vertragen«, sagte
sie und verwöhnte das eben als strapaziert angepriesene Verdauungsorgan mit
einer weiteren vollen Kuchengabel mit Sahnetorte.
»Wenn es man nur der Magen wäre«, stöhnte ihre Nachbarin. »Die
Galle. Das sind Schmerzen, Hertha. Das glaubst du nicht.«
»Ich muss morgen wieder zur Massage«, fiel die Dritte ein. »Mein
Rücken macht mir schon seit Jahren zu schaffen. Ich kann kaum noch aufrecht
sitzen.«
»Meiner erst mal«, sagte darauf die Zweite. »Das gönne ich
niemandem. Was tust du gegen deinen Rücken?«
Plötzlich stöhnte Große Jäger laut auf und lenkte die Aufmerksamkeit
der Frauen auf sich. Der Oberkommissar verzog das Gesicht zu einer Leidensmiene
und unternahm gefährlich aussehende Verrenkungen mit dem Kopf.
Christoph versuchte, eine besorgniserregende Miene aufzusetzen, und
legte seine Hand fürsorglich auf Große Jägers Unterarm.
»Hast du wieder einen Anfall?«
»Jaaa«, stöhnte der Oberkommissar. »Dieser verdammte Halskrebs. Der
hat mir schon die halbe Fibrose zerstört. Jetzt ist auch der Atlasknoten
angegriffen. Ich glaube, der Musculus sphincter ani internus ist hinüber. Ich habe keine Defäkationsreflexemehr.
Das ist nicht mehr auszuhalten.«
Die drei Frauen sahen zu den beiden Beamten herüber. Christoph
drehte sich zu ihnen um.
»Entschuldigung, aber meinem Freund geht es wirklich nicht gut. Ich
glaube, er muss dringend zum Arzt. Wir sind nämlich nicht von hier. Ich habe ein
Stück weiter ein Schild gesehen. Eine Ärztin. Wissen Sie, wann die Sprechstunde
hat?«
»Die hat jetzt geöffnet«, antwortete die »Gallenblase«. »Ich würde
aber nicht zu der gehen. Es klingt so, als hätte Ihr Freund etwas Ernsthaftes.«
»Das ist nicht zum Aushalten«, spielte Große Jäger weiter.
Christoph stellte belustigt fest, dass dem Oberkommissar die
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