Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
macht?«
Ihr Schweigen ließ alle Antwortmöglichkeiten offen.
»Kollegen?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Auf keinen Fall.«
»Und Ihr Vorgänger?«
Die Ärztin nagte an ihrer Unterlippe. Erst als Große Jäger sie
ermunterte, begann sie zu erzählen.
»Das hat mich gewundert. Zunächst glaubte ich, dass sich die
Patienten erst an ›die Neue‹ gewöhnen müssen, bis ich dahinterkam, dass Dr. Pferdekamp
erzählte, seine Nachfolge würde eine Ärztin antreten, die es nicht geschafft
hätte zu promovieren. Darüber sollten die Leute nachdenken. Und – sie
haben nachgedacht. Nach Art der Eiderstedter mit den Füßen.«
»Da schwingt Verbitterung mit.«
»Wundert Sie das? Auch für einen Mediziner ist es eine Frage des
Überlebens. Es funktioniert nicht, wenn die Patienten ausbleiben. Ich kann doch
nicht durch die Stadt laufen und erklären, dass ich mir die Promotion gespart habe,
weil ich ein Kind großzuziehen hatte. Alleinerziehende Mutter, die Arbeit im
Krankenhaus als Assistenzärztin und Promotion … Das ging nicht.«
»Könnte Ihre Ausrichtung auf den Schwerpunkt Naturheilverfahren auch
dazu beigetragen haben?«, gab Christoph vorsichtig zu bedenken.
»Nein«, widersprach die Ärztin entschieden. »Meine Behandlungen
orientieren sich strikt an den neuesten Erkenntnissen der Schulmedizin. Aber
gegen Verleumdungen ist kein Kraut gewachsen.«
»Und Sie glauben, dass Dr. Pferdekamp dahintersteckte?«
»Da bin ich mir absolut sicher. Wie ist es sonst zu erklären, dass
sein gesamtes Personal nicht von mir übernommen werden wollte?«
»Könnte man sagen, dass Sie mit dem Rücken zur Wand stehen?«,
mischte sich Große Jäger ein.
Sie lachte verbittert auf.
»Das ist noch untertrieben.« Sie senkte den Kopf in ihre offenen
Handflächen ab. »Ich lebe nicht einmal von der Substanz. Von welcher auch? Ich
bin mit nichts außer Idealismus hierhergekommen. Die Praxisübernahme habe ich
mit Krediten finanziert. Und mittlerweile muss ich die laufenden Kosten auch
mit Krediten abdecken, da die Einnahmen dafür nicht reichen. So etwas spricht
sich in einer kleinen Stadt schnell herum. Die Leute wissen, was Sie beim
Discounter in ihren Einkaufswagen packen. Und wenn es nur Sonderangebote sind,
dreht sich die Abwärtsspirale immer schneller.«
Es klang verzweifelt.
»Haben Sie jemanden, mit dem Sie Ihre Situation besprechen können?«,
fragte Große Jäger, und Christoph wunderte sich erneut, welch einfühlsame
Tonlage der Oberkommissar anbringen konnte.
»Nein. Es gab private Gründe, alle Brücken zu meiner alten Heimat
abzubrechen. Ich stamme eigentlich aus der Pfalz, genau genommen aus
Kaiserslautern.«
»Waren es … nun ja – private Gründe, die im medizinischen
Bereich liegen?«, fragte Christoph vorsichtig.
»Sie meinen, ob ich fachlich Fehler gemacht habe? Nein. Gewiss
nicht. Es … Na ja. Also …«, stammelte sie. »Der Vater meines Kindes
war mein Chef. Angesehener Chefarzt, verheiratet. Da musste einer weichen. Nun
dürfen Sie raten, wer.«
»Wusste Dr. Pferdekamp davon?«
Sie schlug mit ihrer geballten Faust in die offene linke Handfläche.
»Beinahe hätte ich es ihm erzählt. Ich habe ihm vertraut. Er machte
einen sympathischen Eindruck auf mich, wirkte fast ein wenig väterlich. Deshalb
habe ich nicht verstanden, warum er hinter meinem Rücken diese Intrigen spinnen
musste.«
»Haben Sie nach der Praxisübernahme einen Behandlungsfehler von
Ihrem Vorgänger entdeckt? Oder etwas, das man – sagen wir einmal –
unterschiedlich hätte interpretieren können?«
»Nein. Nie.«
»Könnte es sein, dass Dr. Pferdekamp so etwas befürchtet hat
und deshalb – quasi vorsorglich – Ihre Reputation von vornherein in
ein schlechtes Licht gestellt hat?«
Für einen kurzen Augenblick schloss sie die Augen, als müsse sie
sich von innen betrachten.
»Daran habe ich auch schon gedacht«, gestand sie. »Eine andere
Erklärung habe ich nicht gefunden.«
»Hmh«, mischte sich Große Jäger ein. »Vielleicht gab es einen solchen
Fall, oder mehrere. Sie sind nur nicht darauf gestoßen, weil Dr. Pferdekamp
die Patienten aus der übernommenen Praxis vertrieben hat. Wenn es Ihnen nie
gelungen ist, ein Vertrauensverhältnis zu den Ehemaligen aufzubauen, konnten
Sie eventuell gar nicht hinter ein Geheimnis kommen, das Ihr Vorgänger zu
verbergen suchte.«
»Das klingt sehr geheimnisvoll.«
Zum ersten Mal zeigte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Zwei
Grübchen bildeten sich auf
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