Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
gemacht?«
»Ich verweigere die Aussage.«
Große Jäger stöhnte. »Ich werde noch einmal im Archiv stöbern gehen.
Vielleicht findest du inzwischen den älteren Opel. Oder die blonde Frau.« Er
winkte ab. »Ach nee. Deine Anna hat einen Rotstich im Haar. Rotstich? Stich?«
Er beeilte sich, das Büro zu verlassen.
»Was habe ich vor vierzig Jahren gemacht?«, griff Christoph die
nicht ernst gemeinte Frage des Oberkommissars auf. Viel interessanter war die
Frage, was die Beteiligten an diesen Fällen damals gemacht hatten.
Zwei Stunden später tauchte Große Jäger wieder auf und wedelte
mit einer verblichenen Akte.
»Wird eine Staublunge eigentlich als Berufskrankheit anerkannt?«,
fragte er. »Man glaubt es nicht, was sich alles in unserem Archiv findet.«
Christoph sah ihm neugierig entgegen, aber Große Jäger kostete den
Moment aus. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, und als Christoph aufstand
und ihm neugierig einen Blick über die Schulter werfen wollte, beugte sich der
Oberkommissar über die Akte, verschränkte die Arme und knurrte: »Erst einmal
ich.«
Achselzuckend kehrte Christoph an seinen Arbeitsplatz zurück. Es
dauerte eine weitere halbe Stunde, bis Große Jäger sich räusperte und zu
Christoph umdrehte. Dabei schwenkte er den Pappdeckel.
»Günter Steppujat«, sagte er.
»Wer ist Günter Steppujat?«
»Ein vergessenes Schicksal.«
»Nun mach es nicht so spannend.«
»Steppujat ist 1969 verschwunden. Einfach weg.«
»Und wohin hat er sich geflüchtet?«, fragte Christoph.
»Er war damals neun Jahre alt, als er vermisst gemeldet wurde. Man
hat nie wieder etwas von ihm gehört.«
»Oh, verdammt.«
»Das kann man wohl sagen. Diese Akte«, dabei wedelte Große Jäger mit
dem Pappdeckel, »wurde 1974 geschlossen. Man hat sie in immer größeren
Zeitabständen wieder hervorgeholt, eine kurze Notiz hinzugefügt, dass es keine
neuen Erkenntnisse gibt, und irgendwann ganz vergessen.«
»Ein verschwundenes Kind. Da denken wir beide das Gleiche.«
Trotz aller Abgeklärtheit stand die Betroffenheit im Raum. Auch
vierzig Jahre halfen nicht darüber hinweg.
»Gab es irgendwelche Spuren? Verdächtige?«
Große Jäger schüttelte den Kopf. »Nein. Niemand, den man ernsthaft
verfolgt hat. Wenn wir davon ausgehen, dass der Junge ermordet wurde, ist der
Täter untergetaucht.«
»Finden sich Querverweise, dass es noch andere, vergleichbare Taten
zu jener Zeit gab?«
»Nichts. Nur dieses Verschwinden. Die Sache gestaltet sich deshalb
so schwierig, weil wir 1969 noch eine andere Struktur im Lande hatten.
Zuständig war die Polizei in der damaligen Kreisstadt Tönning.«
»Richtig«, bestätigte Christoph. »Den Landkreis Nordfriesland gibt
es erst seit 1970. Da wurde er aus den Altkreisen Eiderstedt, Husum und
Südtondern gebildet. TÖN , HUS und NIB waren die Kraftfahrzeugkennzeichen. Nur
für Nostalgiker«, fügte er an. »Deshalb war die Suche auch so schwierig. Wer
hat den Fall damals bearbeitet?«
»Federführend war Kriminalkommissar Hansen, mit ihm hat laut Akte
Kriminalobermeister Cölln gearbeitet.«
»Die Namen sagen uns nichts. Nun erzähle einmal etwas
zusammenhängender.«
»Günter Steppujat lebte 1969 in einem Kinderheim in Tönning.«
»Was?«, unterbrach ihn Christoph.
»Es heißt ›wie bitte‹ und nicht ›was‹«, belehrte ihn Große Jäger.
»Du hast richtig gehört. Steppujat war im Kinderheim St. Josef.«
»Das klingt nach einem kirchlich geführten Heim. Und in unserer
Region heißen die Namenspatrone für unsere Kirchen anders: Laurentius, Michael,
Pankratius, Johannis und ähnlich. St. Josef ist eher selten.«
»Worauf willst du hinaus?«, erkundigte sich Große Jäger.
»Auf die Namen, denen wir begegnet sind. Wir sprachen darüber, dass
die ebenfalls nicht typisch für Nordfriesland sind.«
»Auch nicht für Eiderstedt. Die Halbinsel ist ungern 1970 vom neuen
Kreis Nordfriesland aufgesogen worden. Die Bevölkerung wäre lieber nach
Dithmarschen gegangen. Aber was soll diese geschichtliche Exkursion?«
»Vielleicht führt uns der Ausflug in die Vergangenheit weiter«,
erklärte Christoph. »Darüber sind wir doch erst auf die Spur Günter Steppujats
gestoßen. Wer sind seine Eltern?«
»Das ist es«, erwiderte Große Jäger. »Hier ist nur eine Mutter
angegeben. Die ist 1963 verstorben. Der Junge war vaterlos.«
»Also eine Waise.«
»Ja. Deshalb ist die Vermisstenanzeige auch vom Kinderheim
ausgegangen. Allerdings hat sich der damalige
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