Nebelgrab (German Edition)
Füßen, dann wurde er von Marie in die Seite geknufft.
»Die Leuchtreklame über der Tür ist nicht an!«
Freund blickte nach oben und sah das zerstörte Schild einer Fahrschule.
»Das ist absichtlich demoliert worden«, flüsterte er und mit einer Bewegung drückte er Marie an die Hauswand und zog seine Waffe aus dem Holster. Sein Kollege ging nun auch mit gezückter Waffe und leicht geduckt durch den Schatten. Maries Herz schlug bis in die Ohren; sie überlegte, ob sie der stummen Anweisung stehen zu bleiben wirklich Folge leisten sollte.
Sie beobachtete mit angehaltenem Atem, wie Benno Freund am Schloss der Haustür herumnestelte. Da sie wusste, dass es sich um ein altmodisches Kastenschloss handelte, fischte sie ihre Kreditkarte aus der Tasche und huschte zur Tür. Wortlos hielt sie ihm die Karte unter die Nase. Er nahm sie und schickte Marie wieder weg. Eine Sekunde später war die Tür offen.
Marie zischte: »Erste Etage!«, dann drückte sie sich wieder an die Wand, um den Kommissar, der sie mit strafendem Blick ansah, nicht weiter zu verärgern. Die beiden Männer verschwanden im dunklen Schlund des alten Hauses, nur begleitet vom Lichtstrahl einer Taschenlampe, die Michels in der Hand hielt.
Was mochte mit Herrn Beckers Frau geschehen sein? Ob sie auch tot war? Marie konnte ihre Gedanken kaum beieinander halten. Seit sie den Rauch im Altenheim entdeckt hatte, rauschte Adrenalin durch ihre Blutbahnen, als müsste es drei Organismen aufrütteln. Der Tod der beiden alten Leute, und nun auch noch die zweifelhafte Situation vor Herrn Beckers Haus und die Ungewissheit. Ungewissheit über die Willkür des Lebens oder vielmehr des Todes.
Bevor sie sich in Gedanken verlieren konnte, hörte sie ein Geräusch und blickte Richtung Kirche. Sie beugte sich vor und sah, dass sich der Leichenwagen auf den Weg gemacht hatte und sie in wenigen Sekunden passieren würde. Sie stand mit dem Rücken zur Wand und fragte sich, was sie tun sollte, wenn nun tatsächlich jemand aus dem Haus gestürmt kam. In dem Moment ging dort das Licht an. Sie hörte die beiden Kommissare rufen. Vom Fenster aus, mit dem Handy am Ohr, forderte Benno Marie auf heraufzukommen.
Oben sah sie Kommissar Michels Erste-Hilfe-Maßnahmen bei der auf dem Boden liegenden Frau unternehmen.
»Frau Becker ist ohnmächtig. Sie hat einen Puls, aber nur schwach«, sagte er und brachte die Frau in die stabile Seitenlage.
Eine kleine Blutlache wurde sichtbar. Das weiße Haar der Frau war am Hinterkopf rot verfärbt.
»Krankenwagen kommt.« Benno hockte sich neben sie.
»Sind das Würgemale?«, fragte Marie.
Benno nickte. »Vermutlich ist der Täter gestört worden. Oder er wollte sie nur einschüchtern, damit sie ihm sagt, wo er finden kann, was er sucht.«
Marie blickte sich in dem Raum um. Sie sah herausgezogene Schubladen, offene Schranktüren, heruntergeworfene Kissen von der Chaiselongue. Die Wohnung war spärlich eingerichtet. Ein Einbrecher brauchte nicht lange zum Durchsuchen der Schränke.
Es konnte nicht sein, dass Arie etwas damit zu tun hatte, niemals! Sie schüttelte den Kopf und bemerkte nicht, dass der Kommissar sie stirnrunzelnd beobachtete.
Adrians Skrupel
Adrian hatte die halbe Nacht auf einen Stapel Papier gestarrt, auf dem ein kleines schwarzes Büchlein lag. Sein Zittern hatte erst am Morgen aufgehört, aber der Schreck über den Tod des alten Mannes saß immer noch so tief, dass er den ganzen Samstag krampfhaft nach Ablenkung gesucht hatte. Der Stapel war offensichtlich ein Manuskript, DAS Manuskript. Das Buch, das Professor Wiedener auf den Markt bringen wollte. Und Adrian hatte es gestohlen.
Er hatte noch nie zuvor gestohlen und er wusste nicht, warum er ausgerechnet im Zimmer eines soeben ermordeten Mannes damit angefangen hatte. Dass er möglicherweise nur knapp den Mörder verpasst hatte, wurde ihm erst Stunden später klar. Der Gedanke, dass er selbst, Adrian Seemann, den Mörder womöglich unabsichtlich vertrieben hatte, verursachte regelrecht Übelkeit. Warum sonst hatte wohl das Manuskript nicht sonderlich gut versteckt auf dem Stuhl des Professors gelegen? Wenn das Buch brisante Dinge beinhaltete und der Professor deswegen zu Tode gekommen war, würde der Mörder weitersuchen.
Vor allem, da es inzwischen einen Fast-Zeugen gab: einen dämlichen Studenten, der seine Nase zu tief in fremde Angelegenheiten steckte. Vielleicht hatte der Killer Adrian gesehen? Vielleicht aber auch nur gehört. Schließlich hatte er laut
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