Nebelgrab (German Edition)
Ausrücken begriffen. Wenige Minuten später konnte Marie die wenigen Informationen an den Einsatzleiter weitergegeben.
Es dauerte nicht lange, bis man die Tür zu Frau Schüttlers Wohnung geöffnet hatte. Schon im Eingang prasselten hohe Flammen; die Hitze breitete sich gierig auf den Flur aus. Qualm füllte die Luft, einige Papierfetzen flogen herum und verbrannten, noch bevor sie einen Landeplatz erreichen konnten, oder flüchteten vor dem Brandherd und setzten ihren Weg wie Federn in einem warmen Sommerwind fort. Die alte Dame lag tot auf dem Fußboden.
Maries Hände zitterten. Sie und Elke saßen in Maries Büro und hörten, was der Einsatzleiter der Feuerwehr ihnen gerade mitteilte.
»Wir müssen davon ausgehen, dass Frau Schüttler nicht durch den Brand oder Rauch gestorben ist, sondern umgebracht wurde. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei sie durch einen Sturz auf den Kopf ohnmächtig geworden – die große Platzwunde spricht dafür, aber die Leiche weist Strangulierungsmale auf. Und dann sagten Sie ja«, er nickte Marie zu, »dass nur wenige Minuten vergangen sind, bis Sie das Feuer entdeckt haben. Vermutlich ist der Brand als Vertuschungsversuch für den Mord gelegt worden. Die Kollegen der Kriminalpolizei sind bereits unterwegs.«
Maries Verdacht
Äußerlich ruhig saß Marie im Pflegezimmer und besprach mit den Mitarbeitern der Spätschicht die zurückliegenden Ereignisse. Nur wenige Senioren hatten von dem Vorfall etwas mitbekommen und das Personal hatte alle verfügbaren Ressourcen aktiviert, um der anstehenden Nacht ihren Schrecken zu nehmen.
Marie hatte Elke nach Hause geschickt, und auch die beiden Kriminalbeamten mit den Namen Freund und Michels, die so gar nicht nach Mord und Totschlag klangen, waren per Handy schon wieder zu einem anderen Fall abberufen worden. Die Feuerwehr war im Begriff das Haus zu verlassen. Marie war vor dem Gespräch mit den Mitarbeitern noch einmal zu Frau Schüttlers Wohnung gegangen, um sich zu sammeln.
Die Leute von der Spurensicherung waren noch beschäftigt gewesen. Mit ihren weißen Anzügen hatten sie in der zerstörten Wohnung grotesk ausgesehen – wie eine Science-Fiction-Szenerie. Marie hatte den Blick wieder abgewandt, doch das Bild der Flammen hatte sich unwiderruflich in ihr Gehirn gefressen. Sie hatte die Beamten von Brandbeschleuniger und hoher Brutalität sprechen gehört. Den Kripoleuten waren die vielfältigen Schriften zur heiligen Irmgardis aufgefallen, doch Marie hatte nur antworten können, dass Frau Schüttler eine gläubige Christin gewesen war und immer mit ganzem Herzen die Feierlichkeiten zu Ehren Irmgards begangen hatte.
Obwohl sie nun schon monatelang dieses Haus leitete, dessen Name auf die legendäre Irmgardis zurückging, hatte sie sich noch nicht die Zeit genommen, tiefer als nötig in die Süchtelner Stadtgeschichte einzutauchen. Doch statt dieses Defizit zu bedauern, drängte sich ihr ein anderes Bild auf: der Gesichtsausdruck ihres Altenpflegers, als sie ihn in der Wohnung erwischt hatte. Was hatte Arie mit der alten Dame über seinen Job hinaus zu tun gehabt? Der Mann war sehr beliebt bei den Bewohnern. Er hatte immer einen Witz auf den Lippen und hatte ein besonderes Händchen für die Depressiven und Melancholischen.
Dass die Senioren ihn um Gefallen baten, war keine Seltenheit, aber er hatte offensichtlich gelogen – welches Spiel spielte er?
Sie brach das Gespräch im Pflegezimmer ab, als sie das Gefühl hatte, die stellvertretende Wohnbereichsleiterin habe alles im Griff, und verschwand eilends aus dem nun endgültig in den Wochenendschlaf versinkenden Altenheim. Sie überprüfte noch den Schließmechanismus des Nachtzugangs inklusive der Kamera am Nebeneingang und schärfte den Mitarbeitern ein, auch am Morgen Besucher nur nach eindeutiger Identifizierung ins Haus zu lassen. In ihrem Büro zog sie die Akte Aries hervor, um seine Adresse ausfindig zu machen. Sie zweifelte, ihn am Samstagabend anzutreffen, doch sie musste es wenigstens versuchen. Sie musste klären, was er in der Wohnung vorgehabt hatte.
Die Bergstraße war wieder von Nebel und Dunkelheit eingehüllt. Nachdem die zuckenden Lichter der Einsatzwagen nach und nach verschwunden waren, waren alle Nachbarn fröstelnd in ihre Häuser zurückgegangen, um den Brand im Altenheim ihrem Fundus an Stadtgeschichten beizufügen.
Hätten sie gewusst, dass weiter unten, im Herzen der kleinen Stadt, die Kriminalbeamten Freund und Michels bereits dabei waren,
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