Nebelgrab (German Edition)
einen auf offener Straße geschehenen Mord aufzunehmen, hätten sie auch den Todesfall im Seniorenheim womöglich durch eine andere Brille betrachtet, und der ein oder andere hätte seinen Garten beleuchtet, um sich zu vergewissern, dass der Mörder sich nicht dort verschanzte.
Marie steuerte ihren Wagen durch die Hindenburg- in die Hochstraße und stutzte, als sie rechts in der Fußgängerzone schon wieder Blaulicht bemerkte. Sie bremste ab. Ein Polizeifahrzeug, mehrere Zivilautos und Schaulustige drängten sich wie ein Wall um den Raum zwischen Kirche und Weberhaus. Hinter ihr hupte es, und sie sah im Rückspiegel einen Leichenwagen. Eiskalt wie das Licht der Straßenlaternen fuhr es ihr über den Rücken und sie machte dem Wagen Platz, indem sie auf den Randstreifen fuhr.
Sie zögerte auszusteigen; ein ungutes Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Sie beobachtete im Rückspiegel einen Streifenpolizisten, wie er die Menschen auseinanderdirigierte, um den Wagen mit dem Sarg durchzulassen.
Wie vom Nebel produziert, vermehrte sich die Menge der Neugierigen. Sie mochte sich nicht dazustellen, warum auch? Der Tag war aufregend genug gewesen. Sie sah sich um, ob die Fahrbahn wieder frei war, und warf noch einmal einen Blick auf die Menge, die dort stand, als gäbe es in Kürze etwas umsonst, als die Schneise, die die Leute für den Wagen bildeten, den Blick auf Kommissar Freund freigab. Der dunkelhaarige Mittvierziger steckte gerade mit behandschuhten Händen einen Hut in eine Plastiktüte. Trotz der Dunkelheit und des blinkenden Blaulichtes meinte sie, etwas Bekanntes in diesem Bild zu entdecken. Sie zog den Zündschlüssel ab und stieg aus.
»Nanu, Frau Lorenz, was tun Sie hier?« Kommissar Freund stutzte.
»Wer ist das?«, fragte Marie und deutete auf einen am Boden liegenden, abgedeckten Körper.
»Jedenfalls niemand aus Ihrem Heim.«
»Darf ich den Hut mal sehen?«
»Frau Lorenz, ich glaube, es ist besser …«
»Bitte, zeigen Sie mir den Hut! Ich glaube, ich kenne ihn.«
Benno Freund hielt ihr die Tüte hin. Der Hut wies speckig glänzende Griffstellen auf und hatte eine helle Stickerei auf der Krempe.
»Oh nein, ist das etwa Hubert Becker?«, fragte Marie und sah den Kommissar mit großen Augen an.
»Sie kennen ihn?«
»Er ist der Cousin von Lene Höfer, eine Bewohnerin. Er kommt mit seiner Frau oft zu Besuch ins Heim.«
»Aber er hat nicht zufällig was mit Frau Schüttler zu tun?«
»Warum? – Doch, sie sind befreundet. Sie sind alle Ur-Süchtelner, ein eingeschworener Trupp sozusagen. Mein Gott …« Sie schüttelte den Kopf. »Wissen Sie schon, was ihm zugestoßen ist?«
In dem Moment kam ein Mann auf sie zu, den Marie als den Pathologen erkannte, der vorher schon im Altenheim dabei gewesen war.
»Das Gleiche: Würgemale am Hals und ein schwerer Schlag auf den Kopf. Ist noch nicht lange her. Wodurch der Tod letztendlich eingetreten ist, kann ich euch später sagen.«
Benno Freund zog den Mann mit einem Blick auf Marie zur Seite. Marie stand mit offenem Mund da.
Was hatte Arie damit zu tun?
Der Kommissar trat wieder zu ihr. »Am besten fahren Sie nach Hause. Genug Aufregung für einen Tag.« Er versuchte ein Lächeln.
»Waren Sie schon bei seiner Frau?«, fragte Marie und hielt ihren Blick auf den verdeckten Leichnam gerichtet.
»Wir sind schon fast auf dem Weg.«
»Ich würde gern mitkommen«, sagte sie aus einem Impuls heraus, »sie kennt mich – vielleicht nützt es was.«
Benno Freund zögerte; er sah in das von braunen Locken umrahmte Gesicht und die ernsten dunklen Augen, und konnte sich eigentlich Schöneres vorstellen, als einer alten Frau zu sagen, dass sie gerade Witwe geworden war. Kommissar Michels, der im Kommissaren-Duo den jüngeren Part bildete und mit seinen hellen Haaren und der dunklen Brille eher intellektuell als kriminologisch wirkte, kam nun auch herbei und erklärte, die Spurensicherung habe alles im Griff, man könne gehen. Dabei winkte er mit einem Notizzettel, auf dem die Adresse gekritzelt war.
»Ich weiß, wo die beiden wohnen, es ist nicht weit.«
Ohne abzuwarten, ging Marie los. Die beiden Männer folgten ihr achselzuckend und aufseufzend.
Das Haus, in der sich die Wohnung der Beckers befand, war nur 200 Meter entfernt. Es lag im Dunkeln; die Laterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite schien keine Lust zu haben, ihren Dienst zu verrichten. Es knirschte, als sie sich der Haustür näherten.
Freund blickte auf Glasscherben zu seinen
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