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Nebelgrab (German Edition)

Nebelgrab (German Edition)

Titel: Nebelgrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Klein
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Vater gesellte sich gerne dazu. Würde sie ihn jemals wiedersehen? Wäre sie doch besser mit der Mutter zu den Verwandten nach Nettersheim gegangen? Man hörte, jener Ort sei noch verschont geblieben, aber sie hatte keine Nachricht, ob ihre Familie wohlbehalten dort angekommen war. Sie war, abgesehen von ihren Verwandten hier, auf sich alleine gestellt und wusste nicht, wohin mit ihren Wünschen für ihr weiteres Leben.
    Sie besorgte etwas Wasser für die Kinder und hörte, wie der Volksempfänger in der Küche angeschaltet wurde. Es lief Musik und sie erkannte am begleitenden Summen, dass Schwester Ignazia die Kaffeemühle drehte.
    »Sie haben Kaffee?«, fragte sie die Nonne wenig später erstaunt.
    »Der Herrgott sorgt für uns, Kind, welch ein Trost, nicht wahr? Der Kaffee ist ein Geschenk des Herrn Pastor.«
    Die Nonne in ihrem schwarzen Habit sah kurz auf und drehte weiter die Mühle. Dann zuckte sie kurz, als die Musik abbrach und eine brüchig klingende Stimme verkündete, dass der Sieg schon fast greifbar war. Lene hörte schweigend zu. Die Erlebnisse der letzten Nacht standen in solchem Gegensatz zu den Erklärungen im Radio, dass sie Angst vor ihrem eigenen Verstand bekam, wenn sie länger darüber nachdachte, also dachte sie nicht. Das Jaulen der Sirene in der Stadt unterbrach ohnehin alles Weitere. Sie eilte in den Garten und holte die Kinder, die sich schon geübt zur langen Schlange aufreihten und ohne Murren in den sicheren Obstkeller folgten.
    Die Entwarnung kam rasch, und als Lene wieder nach draußen kam, lichtete sich der Himmel. Ein warmer Sonnenstrahl fiel auf ihr Gesicht und für Sekunden schloss sie die Augen, entrückt in andere Sphären. Dann besann sie sich, brachte die Kinder erst zum Schutzengel, dann zum Wiesenhaus, versorgte sie mit Wasser und übergab sie kurz darauf ihren besorgten Müttern.
    Bevor sie den Heimweg antrat, schaute sie trotz ihrer Müdigkeit noch auf den Etagen des Pensionats, ob Hilfe benötigt wurde. Im ehemaligen Schlafraum der Schülerinnen fanden sich vom frühen Morgen her bekannte Gesichter. Die Nonnen gingen schnell und leise wie Engel durch den Saal und verbanden, brachten Essen und beteten mit den Obdachlosen. Leises Stöhnen, hin und wieder auch Weinen, war zu hören.
    Eine Hand berührte Lene am Arm.
    »Fräulein, bitte, geben Sie mir Wasser.«
    Es war ein Mann mit dicken Verbänden um Kopf, Brust und Beinen. Sie schaute näher hin und sah wirre schwarze Haare, die sich scheinbar aus der Umklammerung der Mullbinde zu befreien suchten. Sie erschrak – es war der Soldat, den sie am Tag zuvor am Weberbrunnen gesehen hatte! Sein Blick, von Schmerz gezeichnet und halb von Sinnen, löste bei ihr erneut Unbehagen aus, obwohl sie sonst beim Anblick eines Schwerverletzten Mitleid und Respekt für ihr Gegenüber empfand.
    »Wasser! Bitte!«
    Der Schrecken löste sich, setzte sich aber irgendwo zwischen ihrer Vernunft und ihrer Hilfsbereitschaft fest; sie beruhigte den Mann und ging Wasser holen. Vorsichtig stützte sie anschließend seinen Kopf und half ihm beim Trinken. Er fühlte sich wie jeder andere Verletzte an, dem sie schon geholfen hatte; fast meinte sie, einem Kind zu helfen, aber dann sahen sie diese dunklen Augen wie aus einer anderen Welt an.
    Der Mann lehnte sich zurück, seufzte erleichtert und sagte: »Karl, ich heiße Karl – und Sie?«
    Er hustete und hielt sich den Arm vor den Mund. Als er erschöpft innehielt, war der Stoff des Ärmels blutig. Lene griff nach einem Lappen vom Nachttisch und tupfte vorsichtig über seinen Mund. Er atmete flach und seine Stimme klang heiser.
    »Lene ist mein Name. Sie sollten nicht sprechen, Sie sind schwer verletzt.«
    »Ja«, er versuchte ein Lachen, das aber auch mit gesunder Stimme spöttisch und falsch geklungen hätte, »ich habe unter Rommel in Afrika gekämpft und nie ist mir was passiert«, sein Atem ging in Rasseln über, »und dann übernachte ich in dieser verdammten Stadt und mich erwischt eine Luftmine.« Schweißperlen standen wie aus dem Nichts auf seiner Stirn.
    »Sie sollten schlafen«, sagte Lene beschwichtigend und wandte sich zum Gehen.
    »Warten Sie!«
    Mit erstaunlicher Kraft packte der Verletzte Lene am Arm. Sie drehte ihren Arm, sodass er sie loslassen musste.
    »Warten Sie«, wiederholte er leiser, »sehen Sie unter das Bett!«
    Ein weiterer Hustenanfall schüttelte ihn. Lene gab ihm das Taschentuch, das sich rasch rot färbte. Sie blickte zögernd unters Bett und sah den Sack und die graue

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