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Nebelgrab (German Edition)

Nebelgrab (German Edition)

Titel: Nebelgrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Klein
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Prozession ist der Bauer heute ganz früh fortgefahren.«
    »Sophie, Marek, ich weiß nicht, was ich sagen soll. In diesen Zeiten …« Lene hob hilflos die Hände und ließ sie dann wieder fallen. »Ihr kennt doch die Polen-Erlasse. Ihr dürft euch einander nicht nähern. Man hat schon polnische Zivilarbeiter hingerichtet, weil sie mit deutschen Frauen angebändelt haben; und die Frauen kommen ins Gefängnis. – Sophie, bitte, sei vernünftig! Du verwirkst dein Leben, wenn du dich auf eine Bindung einlässt.«

    Sophies Augen verloren einen Teil ihres Glanzes.
    »Ich weiß, es ist schwierig, aber der Krieg wird nicht ewig andauern und danach sind wir frei.«
    »Ja, aber bis dahin dürfen sie euch nicht kriegen!«
    Lene atmete auf, als Marek endlich aus dem Haus war. Sie konnte Sophie davon abhalten, mit ihm zu gehen. Sie sorgte sich um ihre Freundin, die ähnlich wie Hubert oft impulsiv handelte und sich der Konsequenzen nicht bewusst war. Zu oft schon war Sophie von jungen Männern hingerissen gewesen, als dass Lene jetzt an die Ernsthaftigkeit der neuen Beziehung glauben konnte. Trotzdem oder gerade deswegen war ihre Freundin in Gefahr. Mit den Polen-Erlassen war nicht zu spaßen. Auf menschliche Empfindungen wurde nun mal keine Rücksicht genommen.
    Zudem hatte sich ihr Unwohlsein noch verstärkt; ihr war nicht entgangen, mit welchem Blick Marek Hubert gefolgt war, als der mit der Tasche verschwunden war.
    Die Sonne hielt, was sie in der Frühe versprochen hatte. Süchteln erlebte einen sommerlichen Vormittag. Die Fronleichnamsprozession entwickelte sich zum lange ersehnten Höhepunkt; ehrfürchtig schritt die Gemeinde die vier Altäre ab, andächtig wurden die Evangelienlesung und Fürbitten vorgetragen, feierlich segnete der Pfarrer die Süchtelner unter den hohen Buchen und nährte die Hoffnung auf Frieden. Lene betete inbrünstig und hoffte auf Vergebung für ihre Sünden. Wieder und wieder betete sie um Klärung ihres Geistes und um Willenskraft, das Richtige zu tun. Kurz bevor sich der Prozessionszug wieder Richtung Stadt bewegte, tippte Martha Lene an: »Mit wem redet Hubert denn da?«
    Lene drehte sich um und sah ihren Cousin entfernt von den betenden Menschen im Schatten des Waldes stehen und mit einem etwa gleichaltrigen Mann reden. Lene konnte einen Zettel in seiner Hand erkennen. Die Tasche hatte er nicht mehr bei sich. Die Männer lachten kurz und schienen kein Ohr für die letzten Worte des Pfarrers zu haben.
    In Lene stiegen wieder Wutgefühle auf. Dieser Banause! Warum kam er in den Wald, wenn er gar nicht beten wollte! Und wer war der Fremde neben ihm? Sie beobachtete, wie ihr Onkel sich den beiden näherte, und es sah so aus, als wollte er Hubert zurechtweisen. Hubert streckte seinem Vater das Papier entgegen. Dieser las und legte langsam eine Hand auf Huberts Schulter.
    »Oh, nein«, entfuhr es Martha, die ebenso wie Lene die Szene mitbekommen hatte, »jetzt haben sie auch Hubert gekriegt!«
    Lene sah ihre Freundin erschrocken an. Es fiel ihr schwer, sich noch einmal auf ihre Gebete zu konzentrieren. Zu sehr trauerte sie um die Sorglosigkeit, die schon so lange der Vergangenheit angehörte. Was nutzten all die Gebete, das fromme Andenken an Heilige und Nicht-Heilige, die Fürbitten, wenn die ganze Welt in Aufruhr war und Menschen in den Krieg zogen, um für immer in fremder Erde zu bleiben. Sie hielt ihre Hände gefaltet, ihren Kopf gesenkt, und versuchte ihren Glauben zu erhalten, Sinn zu finden.
    Ihren Freundinnen neben sich schien es ähnlich zu gehen. Ein Seitenblick auf Martha und Sophie brachte keinen Trost, sondern bestätigte die Trauer und ließ die frisch geschöpfte Hoffnung durch das gemeinsame Beten mit der Gemeinde in ein tiefes Loch fallen. Lene hob schließlich ihren Blick zu den Blättern der Bäume, zum Sonnenschein und empfand plötzlich keine Liebe mehr für die Heimat, für den Wald oder für überhaupt irgendetwas. Sie liebte diesen Wald, das wusste sie, doch sie suchte in diesem Moment vergeblich nach diesem Gefühl.
    »Jetzt ist es schon so weit, dass sie einen Krüppel wie mich brauchen«, sagte Hubert in leichtfertiger Manier.
    »Gott, schütze uns, aber Herr, nicht mein, sondern dein Wille geschehe«, murmelte Huberts Mutter, die, seit Hubert mit dem Brief angekommen war, nicht mehr aufhören konnte zu beten.
    »Mutter, es ist erst mal nur ein Schanzeinsatz. Danach komme ich vielleicht wieder nach Hause.«
    »Du weißt so gut wie wir, dass es dabei nicht bleiben

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